Skinheads schüren Angst in Eberswalde

Häufung von rassistischen Überfällen im Vorfeld eines Prozesses gegen Skins, die Angolaner zu Tode geprügelt hatten/ Polizei leugnet Vorfälle/ Rechte Szene organisiert und bewaffnet sich/ Flüchtlinge aus Afrika und der Türkei neue Opfer  ■ Aus Eberswalde Bernd Siegler

„Die freundlichen Menschen auf den Straßen prägen das Bild dieser Stadt und ihre Atmosphäre.“ Glaubt man den neu aufgelegten Hochglanzprospekten der Stadtverwaltung des 50.000-Einwohner-Städtchens Eberswalde-Finow, 60 Kilometer nordöstlich von Berlin, ist die Welt hier in der „weltoffenen Waldmetropole“, umgeben von der reizvollen Landschaft der Schorfheide, noch in Ordnung. Die Namen von Marx und Engels sind längst getilgt, nur das überdimensionale Denkmal im Hans-Ammon-Park steht noch. Sein Überleben verdankt es der zeitlosen und wertfreien Inschrift „Vergeßt es nie“. Doch die Idylle aus den Fremdenverkehrsfaltblättern hat ihre Kehrseite.

Seit zwei Wochen gehen in Eberswalde rechtsextreme Skinheads wieder verstärkt auf die Jagd nach Ausländern. „Wir leben in ständiger Angst, gehen kaum noch auf die Straße“, erzählt Joao* aus Mosambik, stellvertretend für die etwa 30 noch in Eberswalde lebenden Schwarzen. Vermehrt werden weiße deutsche Frauen Opfer von Übergriffen, deren farbige Kinder von ihren Beziehungen zu den Schwarzen zeugen. „Dat sind die Weiber von den Schwatten“, lautet das Skin- Kommando zum Zuschlagen. Am hellichten Tag zertrümmerten rechtsextreme Skins Anfang April die Wohnungseinrichtung der 28jährigen Brigitte, die mit einem Schwarzen verheiratet ist. Die betroffenen Frauen gehen inzwischen kaum mehr aus dem Haus, bestimmte Straßen werden gemieden, die Kinder dürfen nicht draußen spielen. Alltag in Eberswalde.

Die Skins haben damit fast ihr Ziel erreicht, aus Eberswalde eine ausländerfreie Stadt zu machen. Noch vor Ablauf ihrer Werkverträge ging die Mehrzahl der einst 2.000 ausländischen Arbeiter „freiwillig“ gegen eine Prämie von 3.000 Mark nach Hause. Einige flüchteten vor den Übergriffen in den Westen. Der Rest zeigt sich nicht mehr auf der Straße. Jetzt haben die nach deutscher Ordnung und Sauberkeit strebenden Skins ein neues Feindbild: die Flüchtlinge. Letzte Woche wurden 21 Menschen aus Afrika und der Türkei in Eberswalde einquartiert, 500 werden es in Kürze sein. Sie leben derzeit in Baracken am Rande des einstigen Max-Reimann-Viertels, das heute unverfänglich Brandenburgisches Viertel heißt und als Hochburg der Skins gilt. Beinahe jede Nacht fliegen Steine auf die Baracken, rassistische Parolen werden gegrölt. Ingo Bochow, Pressesprecher der Polizei, nennt es „unklug“, die Flüchtlinge ausgerechnet in diesem „Gefährdungsgebiet“ einzuquartieren.

Auf die vorangegangene Frage, ob in Eberswalde Rechtsextremismus ein Problem sei, hatte Bochow noch wie aus der Pistole geschossen geantwortet: „Bei uns gibt es keine rechtsextreme Szene, nur ein paar Sympathisanten.“ In Eberswalde selbst sei es „seit Monaten sehr ruhig“. Lediglich im Oktober letzten Jahres wäre es zu Reibereien zwischen deutschen Jugendlichen und russischen Soldaten gekommen. Und dann habe es ja auch noch „diesen Totschlag“ gegeben, der sei zwar „nicht abzuleugnen“, aber die Medien hätten das „total hochgespielt“.

Zivilbeamte sahen den Mißhandlungen zu

Durch „diesen Totschlag“ am 24. November 1990 gelangte Eberswalde zu trauriger Berühmtheit. Zum ersten Mal wurde in den neuen Ländern ein Ausländer zu Tode geprügelt. Auch Kai-Uwe Krakau, jung-dynamischer Sprecher der Stadtverwaltung, will sich an keinen Vorfall mit Skins in den letzten Monaten erinnern. „Eberswalde war nie eine Hochburg des Rechtsextremismus“, betont er fast trotzig. Ganz nebenbei erzählt er, daß der Kopf der Eberswalder Skinheads, Tristan Dewitz, inzwischen als ABM-Kraft bei der Stadt beschäftigt ist.

In der Nacht des 24. November 1990, als der 28jährige Amadeu Antonio aus Angola von einer Gruppe deutscher Jugendlicher zu Tode geprügelt und zwei andere Schwarze verletzt worden waren, trafen sich Skinheads aus dem 70 Kilometer entfernten Gartz mit gleichgesinnten „Kameraden“ aus Eberswalde zunächst in der Wohnung von Dewitz. Später, in der Discothek „Rockbahnhof“, schloß sich ihnen eine Gruppe von Heavy-Metals aus Eberswalde an. Um kurz vor Mitternacht beschlossen sie, im nahen „Hüttengasthof“, damals noch Treffpunkt für die in Eberswalde arbeitenden Angolaner und Mosambikaner, „Neger aufzuklatschen“. Sie ließen sich an der Garderobe der Disco ihre Waffen, Messer, Schreckschußpistolen und Baseballschläger aushändigen und zogen los. Die Polizei folgte ihnen im Sicherheitsabstand.

Zusammen mit anderen Schwarzen lief Amadeu Antonio bei der „Chemischen Fabrik“ dem Schlägertrupp direkt in die Arme. Wie die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/ Oder nach über einem Jahr Ermittlungen festgestellt hat, wurde der Angolaner von mindestens sechs 17- bis 20jährigen malträtiert. Diese schlugen und traten zu, einige sprangen dem Angolaner mit Wucht auf den Kopf. Drei Zivilbeamte sahen dem Geschehen vom Pförtnerhäuschen aus zu. Erst als ein Bus herannahte, traten die Zivilbeamten aus der Pfortenloge. Die Skins ließen daraufhin von ihrem Opfer ab und zogen weiter. Zwei der Hauptschläger, die Brüder Kay-Nando und Sven B. aus Gartz, ließen sich von den Polizisten in Zivil jedoch nicht irritieren. Sie kehrten zum Tatort zurück, stießen mit dem Baseballschläger leicht gegen den Brustkorb bzw. mit dem Stiefel gegen das Kinn des Angolaners. „Der Neger schläft doch nur“, betonten sie gegenüber den Beamten. Die beiden Brüder, stadt- und polizeibekannte Rechtsextremisten, konnten unbehelligt zu ihren „Kameraden“ zurückkehren. Festgenommen wurden sie erst später in der Nacht und saßen bis Juli bzw. September 1991 in Untersuchungshaft. Amadeu Antonio starb an den Folgen der Schläge und Tritte am 6. Dezember 1990 im Krankenhaus.

Im Mai müssen sich die Brüder aus Gartz zusammen mit vier Angehörigen der Eberswalder Heavy- Metal-Szene vor der Jugendkammer in Frankfurt/Oder wegen gemeinschaftlich begangenen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge verantworten. Seitdem die Anklageschrift erstellt und damit auch die Liste der Zeugen bekannt ist, mehren sich die Übergriffe auf die Schwarzen und ihre Frauen in Eberswalde. Für die Staatsanwaltschaft steht die rassistische Motivation der Schläger außer Frage. Kay-Nando B., der Anführer der Skins, gab freimütig zu Protokoll, er hasse Ausländer. Sein Bruder Sven ordnete sich bei den Vernehmungen selbst den „Faschos“ zu.

Die „Antirassistische Initiative“ aus Berlin, die sich nach dem Todesfall insbesondere um die Freundin des Getöteten gekümmert hatte, wirft der Staatsanwaltschaft „Verschleppung der Ermittlungen“ vor. Die meisten Tatzeugen seien inzwischen unerreichbar in ihren Heimatländern. Zudem sei es der Staatsanwaltschaft bis heute nicht gelungen, den Einsatz der Polizei in der Tatnacht zu rekonstruieren. Das Verhalten der Beamten führte zwar zu einer Beschwerde des „Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften“, doch das Innenministerium von Brandenburg konnte „keine Beweise für ein Fehlverhalten“ der Polizisten feststellen. Zuvor hatte Staatsanwalt Wolfgang Grapka noch die Polizei heftig kritisiert: „Durch einen rechtzeitigen ordentlichen Zugriff hätte die Tat womöglich verhindert werden können.“ Nach Aussagen der von Skin-Überfällen Betroffenen hat sich bei der Polizei seitdem nichts geändert. Als im Sommer Erika P. in ihrer Wohnung von Skins zusammengeschlagen wurde und diese ihren farbigen Sohn aus dem Bett rissen, mußte sie sich auf der Polizeiwache anhören: „Was schaffen Sie sich auch so ein Baby an.“

Das Jugendamt in Eberswalde stuft die Aktivitäten der Skins als Hilferufe an die Gesellschaft ein. Heinrich Büscher, Präsident des Bezirksgerichts Frankfurt/Oder, spricht von „Spontantaten, ausgelöst durch Alkohol, Gruppenzwang, fehlende Freizeitmöglichkeiten und der allgemeinen Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in der ehemaligen DDR“. Auch im Brandenburger Innenministerium stuft man solche Übergriffe als „Ausleben von Neigungen“ ein. Organisatorische Strukturen kristallisierten sich demnach „fast nie heraus“.

Schießübungen im Schützenverein

Tatsache ist jedoch, daß die Eberswalder Szene nicht nur über enge Kontakte zu Gleichgesinnten nach Schwedt, Gartz oder Angermünde, sondern auch nach Berlin und Westdeutschland verfügt. Die Anführer der Szene, die Gebrüder Berger, hielten sich nach der Wende längere Zeit in Paderborn, einem Stützpunkt der militanten Kühnen-treuen „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ auf. Tristan Dewitz weilte derweil in Bochum und kehrte ideologisch gestärkt nach Eberswalde zurück. Kurz nach Antonios Tod versuchte Dewitz am 8.12. in Eberswalde einen „Deutschen Nationalen Völkischen Bund“ mit militärischer Zielsetzung zu gründen, was die Polizei verhindern konnte.

Danach trafen sich die Skins im Stadtteil Finow, dessen sozialdemokratischer Bürgermeister Rainer Gruzialeswki sich der guten Kontakte zu dieser Gruppe rühmt. Er will den Kontakt aufrechterhalten, um „die Jugendlichen positiv beeinflussen zu können“. Gruzialeswkis Engagement für die rechtsextremen Skins änderte an den Übergriffen nichts. Auch Gruzialewski dürften die Erkenntnisse der Eberswalder Kriminalpolizei bekannt sein, wonach die Szene inzwischen hochgradig bewaffnet sei und Schießübungen Eingang in ganz normale Schützenvereine gefunden hätten.

Nachdem in Hohenselchow nahe Schwedt am 1. Dezember letzten Jahres Sven B., einer der Haupttäter von Eberswalde, einem 30jährigen Deutschen mit seinem Baseballschläger tödliche Kopfverletzungen zugefügt hatte, ging sogar die örtliche 'Märkische Oderzeitung‘ auf Distanz gegen einen ausschließlich sozialpädagogischen Umgang mit den rechten Jugendlichen. Nach dem Totschlag hatte Schwedts Rechtsdezernent Hans-Joachim Hildebrandt betont an seiner absoluten Gesprächsbereitschaft festgehalten. „Die Jungs“, wie er sie fast liebevoll nannte, wüßten „sehr genau, wie wir uns um sie bemühen, sie einbeziehen wollen anstatt auszugrenzen“. Die 'MOZ‘ kommentierte, der Bürger habe ein „Recht darauf, daß man sich um seine Sorgen genauso kümmert wie um die rechtsradikaler Jugendlicher“. Auch in Schwedt hat sich die Szene längst organisiert. Die in Detmold ansässige militante „Nationalistische Front“ (NF) zieht an der deutsch-polnischen Grenze die Fäden. Vor zwei Wochen bekannten sich Schwedter Rechtsextreme erstmals in ihrem „Schwedter Denkzettel Nr.1“ offen zur NF.

Die Schwedter Szene trifft sich regelmäßig in Eberswalde mit den örtlichen Skins in der Kneipe „Am Richterplatz“, dem „Führerhauptquartier“ (Skin-Jargon). Nach dem Hilferuf der Ausländerbeauftragten Marietta Böttger, daß die Sicherheit der in Eberswalde lebenden Ausländer nicht mehr gewährleistet sei, schlossen sich Anfang April mit dem Arbeitslosenzentrum und dem Eine- Welt-Laden zum ersten Mal Menschen aus Eberswalde zusammen, die die Ausländer und Flüchtlinge unterstützen wollen. Wolfgang Reesen vom Arbeitslosenzentrum spricht von einer „gewissen Hilflosigkeit, solange sich in den Köpfen der Menschen nichts ändert“.

*Namen von der Redaktion geändert