Alarm im Pferdestall

Ein Alarmsystem aus den USA soll Pferdezüchtern rechtzeitig die Geburtsstunde von Fohlen anzeigen/ Das Heco-System ist in Deutschland bisher nicht getestet worden/ Tierschützer warnen: „Man darf keinem Tier ohne Grund Schmerzen zufügen“  ■ Von Monika G. Mengel

Im Frühjahr „fallen“ in den Pferdezuchtbetrieben die Fohlen. So mancher Züchter ist völlig genervt von den ständigen Nachtwachen. Dabei haben es die Stuten gar nicht gern, wenn man ihnen beim Fohlen aufdringlich „über die Schulter“ sieht. Aber oft geht es in der Pferdezucht nicht ohne Komplikationen ab: Das Fohlen kommt nicht kopfüber, sondern in der Steißlage. Oder die Eihaut verklebt die Nüstern und das Tier muß ersticken. Auf dem Markt gibt es verschiedene Überwachungssysteme, die dem Züchter anzeigen, wann die Geburt beginnt. Inzwischen ist die technische Kontrolle des Fohlens bereits viel weiter fortgeschritten, als sich manch braver Pferdefreund vorstellen kann. In den USA wurde ein System entwickelt, das den Stuten bedrohlich nah auf die Pelle rückt: Die Schamlippen werden mit einem Sender versehen.

„An meiner Stute wird so nicht herumgenäht“

Das sogenannte Heco-Alarmsystem besteht aus einem Sender, einer Antenne und einem Empfänger. Der Empfänger kann überall — im Stall oder im Wohnhaus — installiert und mit einem Euro-Piepser gekoppelt werden. Der Sender, eine Plastikhülse mit Mikrochip, besteht aus zwei Teilen. Das Hauptteil, etwa fünf Zentimeter lang und zwei Zentimeter breit, wird mit vier Zentimeter tiefen Stichen an der linken Schamlippe der Stute angenäht. An der rechten wird ebenfalls mit Faden und Nadel ein Magnet befestigt, der dann ähnlich wie ein Druckknopf in das Hauptteil gedrückt wird. Wenn das Fohlen von innen gegen diesen „Verschluß“ drückt, springt der Magnet aus der Hülse und löst einen Alarm aus.

Die ersten, die sich in Deutschland auf das Heco-Alarmsystem gestürzt haben, sind die Gestüte von Alwin und Paul Schockemöhle in Mühlen, skandalumwittert seit der Barr- Affäre, sowie die Gestüte Peter Heitmann und Sigfried Goslar. Sitz der Heco GmbH, des Importeurs für Deutschland, ist ebenfalls Mühlen. Im vergangenen Jahr hat sie ihre Neuheit in einem Video auf der Essener Pferdemesse „Equitana“ präsentiert: Sanfte Musik aus dem Lautsprecher. Auf dem Bildschirm Dämmerlicht im Pferdestall, das Muttertier im weichen Stroh, ein Kätzchen putzt sich. Blende. Ein Blick in die Wohnung der Züchter. Die Züchterin liest in einem Buch. Alarm. Schnell schlüpft die Frau in ihre Stiefel und läuft zum Stall. Die Geburt hat schon eingesetzt. Ein Fohlen wird geboren. Wer ist da nicht gerührt? Aber dann. Ein Blick zurück. Das Einnähen des Senders an die Vulva der Stute wird gezeigt. Erst die Betäubungsspritze. Dann das Anpassen der Plastikhülse. Die Schamlippen werden auseinandergezogen. Der Tierarzt näht die Plastikhülse an. Nicht einmal sonderlich geschickt und auch nicht gerade vorsichtig, denn er sticht dabei der Stute auch schon mal in eine danebenliegende Hautfalte. Schwenk zum Kopf des Tieres. Die Stute scheint ruhig.

Aber die Messebesucher sind aufgebracht. „Den Tierarzt möchte ich sehen, der so etwas macht“, ruft ein junger Mann. Eine Frau: „An meiner Stute wird so nicht herumgenäht.“ Eine andere: „Das muß dem Tier doch weh tun. Das ist doch ein ganz empfindlicher Bereich.“

Die Scheide einer Stute, noch dazu einer tragenden, ist äußerst empfindlich — dies bestätigt auch der Tiermediziner Hartwig Bostedt von der Tierärztlichen Hochschule der Universität Gießen. Der Leiter der Geburtshilfe-Abteilung steht dem neuen Fohlen-Alarmsystem äußerst skeptisch gegenüber. Bostedt befürchtet durch das Anbringen des Senders ein Ansteigen der Infektionsgefahr im Scheidenbereich. Zudem könnte die Vulva, die sich in der Austreibungsphase stark dehnt, reißen.

Und nicht zuletzt vermutet er eine große psychische Irritation der Stute: „Solche Störungen können zu Komplikationen führen. Etwa zum Wehenstopp, wodurch sich eine Geburt extrem verzögert und Gefahr für das Fohlen besteht.“ Sobald die Geburt einsetzt, sollen Sender und Magnet, laut Hersteller, schnellstens entfernt werden. Darin sieht Bostedt ebenfalls eine Gefahr: „Man kann das Tier verletzen.“

„Solche Geräte müssen keine Tests nachweisen“

Der Gießener Tiermediziner hatte der Heco GmbH angeboten, das neue System in seiner Pferdeklinik testen zu lassen. Die knappe Antwort aus Mühlen zu dem Vorschlag: „Wir haben Empfehlungen genug.“ Bis heute ist der US-Import in Deutschland weder klinisch getestet noch von der Deutschen Landwirtschaftlichen Gesellschaft (DLG) empfohlen worden. Jeder kann solche Geräte in Umlauf bringen, ohne daß irgend jemand eine Prüfung veranlassen müßte. „Solche Geräte müssen in Deutschland keine Tests nachweisen. Sie sind noch nicht einmal zulassungspflichtig“, offenbart Karl von Ledebur, Leiter des Tierzuchtreferats im Bonner Landwirtschaftsministerium. Er hat die Vorführung auf der Essener Pferdemesse noch deutlich vor Augen.

Seine Kollegin Karin Schwabenberger aus dem Tierschutzreferat warnt: „Diese Alarmsysteme dürfen nicht gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, denn Paragraph 5 besagt, daß man einem Tier ohne Grund keine Schmerzen zufügen darf.“ Schwabenberger glaubt, daß die Stuten beim Annähen des Senders durchaus Schmerzen verspüren.

Das weist die Heco GmbH entschieden zurück. Bei einer Demonstration für interessierte Kunden im Mühlener Gestüt behauptet die Importeurin J. Wolters-Schoonderwoerd: „Vor der Geburt haben die Stuten überhaupt kein Schmerzempfinden.“ Sie räumte jedoch ein, daß das Einnähen des Senders von einem Tierarzt vorgenommen werden sollte. Gleichzeitig erzählt sie, daß ihr Mann, bei Alwin Schockemöhle angestellt, inzwischen so viel Erfahrung mit dem Heco-System hat, daß ein Tierarzt dafür nicht immer extra kommen müsse. Auf die vom Hersteller empfohlene Betäubungsspritze wird in Mühlen meist verzichtet. „Denn durch die Spritze schwillt die Vulva so stark an, daß der Sender nicht mehr fest genug sitzt“, erklärt die Importeurin.

„So ein Sender richtet höchstens Schaden an“

Die neue Technik ist nicht billig. Das Empfangsgerät mit Antenne kostet 2.900 Mark und ein Sender 350 Mark — für mehr Stuten braucht man sogar mehrere Sender. Aber diese Investion lohnt sich nach Angaben von Großzüchtern. Immerhin bedeutet ein totes Fohlen einen Verlust bis zu 40.000 Mark und mehr. Der teure US-Import wird von Tierschützern vehement kritisiert.

Ilja Weiss, früherer Tierschutzbeauftragter der hessischen Landesregierung, sieht im Heco-System ein „weiteres Beispiel für das entgleiste Verhältnis des Menschen zum Tier, eine Manipulation natürlicher Vorgänge, die sehr viel Schaden anrichtet.“ Die Therapeutin und Züchterin Ulrike Blum aus Bad Münstereifel bei Köln sieht in diesem System „weder Zeitersparnis nochprofessionelles Züchten“. Es gehe um die Kontrolle natürlicher Vorgänge, um Macht über das Tier und um Macht über das Weibliche. Denn Funktionen des weiblichen Körpers wie die Geburt entzögen sich bisher immer noch der vollständigen Kontrolle durch die männlich dominierte Wissenschaft.

Auch die Vollblutzüchterin Beatrix Mühlens-Klemm vom Gestüt Röttgen in Köln hält das US-System für umständlich: „Bei unseren Fohlengeburten verlassen wir uns immer noch auf unsere Erfahrung und unsere Sinne, aufs Hören, Sehen und Tasten. Da richtet so ein Sender höchstens Schaden an. Und Problemgeburten wird das Heco-System nicht verhindern.“ Die Züchterin fordert, in der Fohlensaison nicht am falschen Ende zu sparen: „Da muß eben nachts Personal eingestellt werden, oder man quartiert sich selbst im Stall ein.“

Eine gute Stallwache, die sich dezent im Hintergrund hält, um die Stuten nicht zu verunsichern und zu stören, ist sofort da, wenn sie gebraucht wird. Deshalb setzt die Züchterin Mühlens-Klemm nicht auf ausgetüftelte Technik, sondern auf das menschliche Gespür.