: Tarifpoker im öffentlichen Dienst
Arbeitgeber nicht ganz einig über Verhandlungsrahmen/ Ausweg für alle Seiten könnte Laufzeit bieten ■ Aus Bonn Andreas Zumach
Vorerst wird weiter hoch gepokert beim Tarifstreit im öffentlichen Dienst. Doch unter der Oberfläche zeigen sich wachsende Risse in der Front der Arbeitgeber von Bund, Ländern und Kommunen. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz bemühten sich deren VerhandlungsführerInnen Bundesinnenminister Seiters, Schleswig-Holsteins Finanzministerin Simonis und Duisburgs Oberstadtdirektor Klein gestern in Bonn noch einmal um den Eindruck von Härte und Geschlossenheit: Trotz drohenden Streiks gibt es vorerst kein neues Verhandlungsangebot an die Gewerkschaften.
Grundsätzlich sind die Arbeitgeber zur „umgehenden“ Wiederaufnahme der Verhandlungen mit den Gewerkschaften bereit. Seiters erweckte durch seine Äußerungen vor der Presse den Eindruck, als sei der Bundesregierung durchaus an einer weiteren Eskalation des Tarifstreites bis hin zu einem Streik gelegen, um die Gewerkschaften dann als Sündenböcke und verantwortlich für die ohnehin äußerst angespannte Lage der öffentlichen Haushalte hinstellen zu können. Sollte diese Haltung auch weiterhin die gemeinsame Position der Arbeitgeber bestimmen, scheint ein Streik unvermeidbar.
Offensichtliche Differenzen herrschen unter den Arbeitgebern über mögliche Modifikationen ihres derzeitigen Angebotes von 4,8 Prozent Lohnerhöhung für 1992 plus einer einmaligen Zahlung von 500 Mark und der Erhöhung des Urlaubsgeldes um 100 Mark. Seiters betonte, strukturelle Veränderungen müßten innerhalb des Gesamtrahmens dieses Angebotes bleiben. Eine Erhöhung etwa der einmaligen Zahlung um weitere 100 Mark bedeutete eine Reduzierung der Lohnerhöhung um 0,2 Prozent. Simonis und vor allem der Vertreter der kommunalen Arbeitgeber, Klein, ließen hingegen durchblicken, daß sie auch bereit sind, über den Gesamtrahmen zu verhandeln. Es wird erwartet, daß die Kommunen bei einem Streik vor allem zu Beginn am stärksten betroffen wären. Simonis stand erkennbar unter dem Eindruck der bröckelnden Front der Länderregierungen.
Auf Fragen nach den Forderungen der SPD-Ministerpräsidenten Schröder (Niedersachsen), Eichel (Hessen) und Scharping (Rheinland- Pfalz) vom Mittwoch nach mehr Flexibilität auf Arbeitgeberseite äußerte sich Simonis lediglich zu Eichel und Scharping. Deren Forderungen, so Simonis, hätten sich auf eine Verstärkung der sozialen Komponente durch strukturelle Veränderungen des Arbeitgeberangebotes bezogen. Die Reaktion auf Schröder, der die Annahme des Schlichtervorschlages von 5,4 Prozent empfohlen hatte, überließ Simonis Seiters. Der äußerte „großes Erstaunen“, weil Schröder noch vor kurzem erklärt habe, die Haushaltskassen seines Bundeslandes seien leer.
Spielraum für einen Kompromiß böte neben strukturellen Veränderungen auch eine Verlängerung der Laufzeit des Tarifvertrages. Auf diese Weise ließe sich — ähnlich wie jüngst im Bankergebnis — ein Gesamtergebnis erzielen, das die Arbeitgeber im Punkt Lohnerhöhungen mit einer vier und die Gewerkschaften mit einer fünf vor dem Komma verkaufen könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen