: Fraktionierung im RAF-Untergrund
Im Umfeld der RAF, dem sogenannten „Widerstand“, wird eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes gefordert/ Verfasser schlagen der RAF-Kommandoebene alte Theoriepapiere um die Ohren ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) — Im Umfeld der Roten Armee Fraktion (RAF) ist das Eingeständnis der Gruppe, politisch gescheitert zu sein und den bewaffneten Kampf einstellen zu wollen, auf heftigen Widerspruch gestoßen. Bei 'dpa‘ und verschiedenen Tageszeitungen ging gestern ein anonymes zweiseitiges Schreiben ein, in dem Unbekannte, die sich als „Teil des Widerstands“ bezeichnen, die alten RAF-Parolen bekräftigen und unter Berufung auf das „Konzept Stadtguerilla“ eine Fortsetzung der terroristischen Praxis fordern. Als Absender des Schreibens wurde ein H. Schmitz aus Frankfurt angegeben.
Unter der Überschrift „22 Jahre bewaffneter Kampf der RAF in der BRD“ (statt des Namens wurde das RAF-Emblem, ein fünfzackiger Stern mit Maschinenpistole, verwendet) wird den reumütigen RAF- Mitgliedern ihr früheres theoretisches Rüstzeug kräftig um die Ohren gehauen. Einerseits werden akribisch die Anschläge und Attentate der RAF von 1972 bis 1991 aufgezählt — auf der anderen Seite wird über weite Passagen aus alten Theoriepapieren der Roten Armee Fraktion aus der Zeit vor 1982 rezitiert. Die Aufstellung endet mit der Phrase: „Wer nicht kämpft, stirbt auf Raten! Freiheit ist nur möglich im Kampf um Befreiung.“ Eine Parole, die das RAF-Kommando „Wolfgang Beer“ in einem Bekennerschreiben zum tödlichen Sprengstoffattentat auf den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, im April 1991 benutzt hat.
Neben dem „Konzept Stadtguerilla“ aus dem April 1971 berufen sich die Verfasser auch auf das RAF- Papier „Die Aktion des Schwarzen September in München — zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes“ von 1972 und das Theorem „Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front“ vom Mai 1982 — Texte, in denen die Kommandoebene RAF versuchte, den von ihr propagierten Kampf theoretisch zu legitimieren. Neuere Erklärungen der RAF oder der RAF-Gefangenen finden in dem anonymen Brief keine Erwähnung.
Die RAF hat in einer Erklärung vom 10. April auch für die Sicherheitsbehörden überraschend ein Scheitern ihrer Politik konstatiert und eine Ende des bewaffneten Kampfes ankündigt. „Wir selbst“, räumten die RAF-Aktiven in ihrer fünfseitigen Erklärung ein, „waren damit konfrontiert, daß wir so, wie wir in den Jahren vor 1989 Politik gemacht haben, politisch nicht stärker, sondern schwächer geworden sind“. Wenige Tage später hatten sich auch die RAF-Gefangenen der Erklärung der untergetauchten RAF-Mitglieder angeschlossen. Eine Einschätzung, der sich die Schreiber des neuen Papieres, die von den Sicherheitsbehörden „unzufriedenen Randgruppen“ der RAF zugerechnet werden, keineswegs anschließen wollen.
Der Zitatensammlung aus den frühen Texten der RAF schlossen die Verfasser bissig an: „Wir, als Teil des Widerstandes in der BRD, fügen jetzt (22.4.92) hinzu: Widerstand steht dafür, daß das, was in den letzten 22 Jahren war, nicht dem Staatsapparat und seinen Medien gehört. Die Geschichte lebt in uns.“ Auch der folgende Satz: „Widerstand gegen die imperialistische Großmacht BRD bestimmt sich durch diese Erfahrungen“ muß den RAF-Kadern bestens bekannt sein. Das Schreiben der Unermüdlichen an die Reumütigen endet mit den wohlbekannten Worten: „Der Kampf geht gemeinsam weiter.“
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