Läuft's anders, geht's anders aus

VfB Stuttgart — Borussia Dortmund 4:2/ Der VfB Stuttgart hätte gegen den Dortmunder Ballverein Borussia genauso gut mit 2:4 verlieren können/ Sammer als kleiner Unterschied  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

Das Schöne am Fußball in diesen unsicheren Zeiten: Er bleibt sich treu! „Der Spielstand hätte auch ohne weiteres andersrum lauten können“, dozierte, als alles vorbei war, Dortmunds Übungsleiter Ottmar Hitzfeld gar nicht einmal zu sehr am Boden zerstört. Selbiges vermuteten unter anderen auch Michael Rummenigge, Thomas Helmer und Eike Immel. Und auch der intelligente Matthias Sammer wirkte alles andere als euphorisch, als er in den Kanon einstimmte: „Es hätte auch alles anders kommen können!“ Nun, allzu anders allerdings, das wollen wir bescheiden anmerken, auch wieder nicht, zu begrenzt sind die Möglichkeiten des Spiels, und was man daraus gemacht. Im Prinzip läuft es eben doch darauf hinaus, daß einer gewinnt und der andere lamentiert. Man kann allerdings, wenn man Glück hat, hin und wieder eine Inszenierung erwischen, der es gelingt, dieselbe alte Geschichte so pathetisch überhöht zu erzählen, daß man am Ende gern glauben wollte, nie Dagewesenes erlebt zu haben. In dieser Beziehung setzte die Stuttgarter Inszenierung zweifellos Maßstäbe: 70.000 vibrierten — da man sie wochenlang auf die Besonderheit des Tages gedrillt hatte — schon beim Warmmachen der Helden, der sonst so besonnene Sponsor forderte „All together now“ und sogar der Stadionsprecher schrie völlig enthemmt seltsame Sätze in der Gegend rum wie: „Und jetzt möchte ich die La-ola-Welle durchs ganze Stadion sehen!“ Und selbst als das Spiel dann angepfiffen werden mußte, nahm die Dramatik kein Ende. Zunächst stolzierte Ottmar Hitzfeld mit dem 1:0 im Sakko stolz am Spielfeld auf und ab und reizte Rot-Weiß bis aufs Blut, dann spielte Buchwald einen angestrengten Innenseitenpaß auf Fritz Walter, und jener — der Größte! — traf und sprang dem auch nicht kleinen Dieter Hoeneß in die Arme und kam vor lauter Jubeln gerade noch rechtzeitig zum Fernsehpauseninterview an. Und zwischendrin blieb immer noch genügend Zeit, den Schurken Michael Rummenigge so richtig auszupfeifen. Wie gesagt: Die Inszenierung war vom Feinsten, doch sie gefiel dennoch nicht jedem.

Ottmar Hitzfeld etwa stellte Mängel fest: „Ein ,reguläres Tor‘ von Schulz sei in der 43. Minute annulliert worden, „und zwei Minuten später kassieren wir das 2:1.“

Überhaupt, dieses nicht gegebene Tor: „Mir unbegreiflich“, schüttelte Michael Rummenigge diverse Male den Kopf, „ich greife nicht ein.“ Der Blonde war erst zu trösten, als er via Superzeitlupe erfuhr, daß er überhaupt nicht im Abseits gestanden hatte. Allerdings: einen Anteil daran, daß es diesmal so und nicht andersherum gelaufen war, hatte Rummenigge, und zwar einen beträchtlichen. Nach elf Minuten sah er („Wir spielen ja nicht Schach“) gelb, danach durfte er den Bösewicht mimen, den ganz Schwaben und insbesondere Matthias Sammer vom Feld wünschten, als wäre er der Leibhaftige. Als er dann nach einer knappen Stunde auch noch absichtlich die Hand zum Ball brachte, kam Hitzfeld Schiedsrichter Harder knapp zuvor und wechselte ihn aus. Jedenfalls konnte der geniale Fußballer Rummenigge zu keiner Zeit Fußball spielen, während der noch ungleich genialere Matthias Sammer den Unterschied ausmachte und das Spiel entschied.

Eine Überhöhung sei noch gestattet: Da kurvte also Sammer von links nach rechts — er spielt ja im Prinzip keine Gegenspieler aus, sondern läuft einfach weg — und spielte den einzig möglichen Paß in die Gasse, an deren Ende der Sprinter Buck bereits angekommen war und den Ball an den langen Pfosten legte, wo Fritz Walter zum Rübezahl anschwoll und mit dem rechten Knie das 3:1 erzielte. Und noch eine letzte Überhöhung! Da nahm dieser Gaudino den Ball, spielte drei Dortmunder auf einen Streich aus, Kutowski auch noch, und „das Optimale war nun, daß Sammer mitgelaufen war“, wird er noch seinen Enkeln erzählen. „Ich täusche an und ...“ — 4:2.

Fazit also, Ottmar Hitzfeld, als alter VfBler? „Dieses Spiel hätte zwei Sieger verdient gehabt.“ Und noch ein klärendes Wort vom alten BVBler Eike Immel? „Im großen und Ganzen war es ein Spiel, das, wenn's anders läuft, auch anders ausgehen kann!“ Womit mal wieder alles gesagt wäre. Das Schöne am Fußball: Er bleibt sich treu.

Borussia Dortmund: Klos — Helmer — Schulz, Kutowski — Franck, Schmidt (70. Mill), Zorc, Rummenigge (55. Poschner), Reinhardt — Chapuisat, Povlsen

Zuschauer: 68.000; Tore: 0:1 Povlsen (14.), 1:1 Helmer (Eigentor, 32.), 2:1 Walter (45.), 3:1 Walter (71.), 3:2 Helmer (84.), 4:2 Gaudino (90.).

VfB Stuttgart: Immel — Dubajic — Schneider, Buchwald — Buck (71. Strehmel), Sammer, Sverrisson, Frontzeck, Kögl — Walter (84. Kastl), Gaudino