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„Ich bekam ihn oft tagelang nicht zu sehen...“

■ Rolf Heißler über die Zeit, Sommer 1985, in der er mit Bernd Rößner zusammen Hofgang hatte. Sein Brief wurde auf der Knastkundgebung am 11. 4. 1992 in Straubing vorgelesen.

Aden, am 24. April 1975. Wir, befreit seit knapp zwei Monaten, sitzen um den Weltempfänger und hören die Deutsche Welle. Rauschend, knackend, ständige Störungen, schwer zu verstehen. In Stockholm hat ein Kommando der RAF die Westdeutsche Botschaft besetzt. Wir rechnen die Flugstunden aus. Wie lange wird es dauern, bis wir unsere Genossinnen und Genossen in die Arme schließen können? Wir reden mit jemenitischen Genossen, sie sind sich sicher, die Bundesregierung wird solch hochrangige Vertreter ihres Staates nicht opfern, sondern die Gefangenen freilassen. Wir scherzen: Macht schon mal Zimmer für sie frei! Sie dagegen: Laßt sie erst mal in der Luft sein! Wir waren froh und gelöst, es ging uns endlich gut und dann... das jähe Erwachen. Statt befreite Genossinnen und Genossen, Verhaftete und Tote. Am nächsten Tag hörte ich im Radio zum ersten Mal den Namen von Bernd.

Am 20.3.81 sahen wir uns das erste Mal. In Straubing im Knast während des Hungerstreiks. Wir hatten unsere freiwillige Verlegung ins Spital von einem Gespräch miteinander abhängig gemacht, der Knastarzt hatte sich dafür eingesetzt und so konnten wir nach tagelangem Hin und Her unter seiner Aufsicht im Besuchsraum eine halbe Stunde miteinander reden. Aber auch nach dem Streik blieb unsere Trennung aufrechterhalten trotz der Zusage des Bundesjustizministers Schmude, daß wir in Kleingruppen zusammengelegt und nicht mehr isolationsgefoltert würden. Ich wurde ein paar Monate später nach Nordrhein-Westfalen zum Prozeß und in teilweise Zweierisolation verlegt. Bernd blieb in Straubing, nicht mehr isoliert, aber als einer von wenigen damals weiter allein ohne jeden direkten Kontakt mit Genossinnen und Genossen von uns. Nach Ablehnung seiner beantragten Verlegung in die bestehende Kleingruppe nach Celle wollte er es wissen. Er führte einen monatelangen Einzelkampf, den Dreckstreik, für die Zusammenlegung, doch ohne jedes Ergebnis.

Erst im Juli 1985 sahen wir uns wieder. Es hieß, ich käme in den „Normalvollzug“, zwar in ein anderes Haus als Bernd, aber ich könnte während des Hofgangs mit ihm zusammenkommen. Es klang nach einem kleinen Schritt vorwärts. Ich hing gleich am Fenster, es war Arbeitslosenhof, aber Bernd nicht da! So sagte ich einem aus seinem Haus, er solle ihm sagen, er solle nachmittags in den Hof kommen, ich sei da. Doch nachmittags kein Bernd weit und breit, obwohl ihm mein Dasein angekündigt worden war. Ich verstand nichts. So schickte ich einem bei ihm vorbei, doch er konnte nur sagen, Bernd ist in seinem Loch, er hätte ihn nur angebellt und rausgeworfen, ob er komme, wisse er nicht. Fünf Minuten später kam er aber doch, und es war schön. Arm in Arm drehten wir unsere Runden. Sein ursprüngliches nicht-kommen-Wollen hakten wir nur ab, es war nicht darüber zu reden.

Aber das passierte in den nächsten Wochen des öfteren, bevor sie die Höfe und damit uns wieder total auseinanderrissen. Ich bekam ihn oft Tage nicht zu sehen und wußte und erfuhr nichts davon, warum er drinnen blieb. Auch das Reden war schwierig. Mal war er lebendig, sprudelnd, offen, einfach da, mal dagegen total zu, verschlossen, ablehnend, Fragen gingen ins Leere. Heute so und morgen anders. Wie wir unsere Zusammenlegung in Straubing oder auch insgesamt durchsetzen, war nicht zu bereden. Ich hatte gedacht, wir sind zu zweit, jetzt fühlte ich mich mehr und mehr allein, ich wußte nicht, liegt es an mir, liegt es an ihm, daß kein Zusammenkommen zustandekommt. Manche Nacht verbrachte ich heulend, ich wußte nicht weiter, ich wußte nur, ich kann das bei ihm Ablaufende nicht erklären und vermitteln.

Meine Tränen trockneten erst, als ich Monate später auf den Satz des für die Vernichtungsoperation gegen die Führer der Tupamaros Verantwortlichen stieß: „Wenn wir sie schon nicht umbringen können, wenn wir sie geschnappt haben, werden wir sie in den Wahnsinn treiben.“ Ich hatte den Schlüssel in der Hand: die jahrelange Isolationsfolter. Du bist mit dir und deinen Gedanken allein, dein Lachen und dein Weinen kannst du mit niemandem teilen. Du hast niemanden gegen die permanente Kontrolle und Fremdbestimmung rund um die Uhr. Jede Lebensäußerung wird registriert, jede kleinste Schwäche gegen dich ausgenutzt. Die Zelle leer, öde, Beton, Gitter, Fliegengitter, kaum Bewegliches darin. Es ist die Hölle. Bestialisch. Eine ständige staatliche Machtdemonstration, jeden Tag wird dir vermittelt: wir können alles mit dir machen, was wir wollen, eure Politik ist chancenlos! Die Kontakte nach außen total beschnitten. In Zeitungen, im Radio liest und hörst du nur den üblichen Counterdreck, alles andere, authentische wird wegzensiert. Mit der Post dasselbe. Besuche überwacht und LKA-bespitzelt, Trennscheibe, wie oft abgebrochen, Rauswürfe und Verbote. Unmöglich, intensivere Kontakte aufzubauen. Nach innen dasselbe. Wenn du überhaupt Gefangene siehst, dürfen sie nicht mit dir reden, nichts, und wenn sie dich mit welchen zusammenlassen, braucht es Zeit zum Abbau von Skepsis und Mißtrauen, die dir nicht gegeben wird, und wird sie dir gegeben, endet es mit Zwangsverlegungen, wie bei mir, weit weg nach Frankenthal.

Bernd hat sich aus einer Realität zurückgezogen, die die totale Negation der Vorstellungen ist, für die wir draußen gekämpft haben, und sieht sich trotzdem mit ihr immer wieder konfrontiert. Er hat es sich angeschaut und sich gesagt, so will ich es nicht mehr. Die Alternative: der Rückzug in mich selbst. Die möglichen Ansprechpartner wie wir oder ich wurden ihm mit allen Mitteln und jeglicher Gewalt entzogen. Die Wirkung: menschenvernichtend. Heute weiß ich nur eines, Bernds Festhalten ist seit Jahren ein Verbrechen. Sie wissen, daß es schon lange nicht mehr um Distanzierung oder Abschwören geht, sondern sie seit Jahren nur noch die offene Frage vor sich herschieben und unbeantwortet lassen: Lassen wir ihn raus und gönnen wir ihm sein Leben oder behalten wir ihn und nehmen wir ihm sein Leben? Weil anders vor dem Volk nicht versteckt werden kann, welche Wirkung die menschenrechtswidrige Behandlung der politischen Gefangenen in der BRD haben kann und hat. Günter hat sie in seiner Erklärung mit einem Entweder/Oder konfrontiert: entweder sie lassen ihn, Bernd, Ali, Isabel wie auch alle anderen haftunfähigen Gefangenen in den nächsten Wochen bedingungslos raus, und dann wird auch unsere Zusammenlegung mit der Perspektive unserer Freiheit vorstellbar, oder nicht, dann haben wir zusammen sie freizukämpfen und alles Weitere anders durchzusetzen.

Fordern wir vom Staat das Leben von Bernd wie von allen anderen ein! Das ist nicht zuviel verlangt.

Rolf Heissler, Gefangener aus der RAF, JVA Frankenthal, inhaftiert seit 1978

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