Ein Klasse-Orchester flieht nach Bremen

■ Kein Witz: Warum die „Deutsche Kammerphilharmonie“ evtl. aus Frankfurt ausgerechnet nach Bremen übersiedeln will

hierhin bitte

das Abendfoto

mit

den

Zugvögeln

Siehe, es kommt uns, aus der Frankfurter Kulturdämmerung, ein komplettes Orchester geflogenFoto: Archiv

Heute entscheidet es sich: Wird die hochberühmte Deutsche Kammerphilharmonie, werden also 38 Musikanten, junge Frauen und Männer, samt all ihren Geigen, Harfen und Kesselpauken ihre Frankfurter Heimstatt verlassen und nach Bremen ziehen? Das wäre neu. Seit der Esel dem Köter Packan gesteckt hat, daß besser als der Tod das Leben selbst in Bremen sei, hat es ja so einen Fall nicht mehr gegeben.

Seit Wochen hecken und tüfteln unter der Bettdecke des Staatsgeheimnisses zwei, drei bremische Behörden und ein Musikprofessor an dem verwegenen Plan: Eine siebenstellige Summe wollte erstmal zusammengekratzt

sein; ferner braucht ein Orchester ein Haus, wo's mindestens nicht reinregnet. Speziell um dieses kümmerte sich das Wirtschaftsressort; eine Villa in Bremen- Nord ist im Gespräch. Das Bildungsressort bastelte am finanziellen Unterbau. Und der bewegte Beweger von alledem, Prof. Thomas Albert (Akademie für Alte Musik; Musikfest obendrein), hatte tolle Tage.

Wenn der verzwickte Deal glückt, hätte das ärmliche Bremen der Hochglanzstadt Frankfurt also ein Spitzenorchester abgestaubt. Die Kammerphilharmonie ist dort sechs Jahre lang von der Deutschen Bank gesponsort worden. Nun aber mochten

die Banker, die nur eine Anschubfinanzierung über die ersten drei Jahre hinweg zugesagt und ihre Zusage noch zweimal verlängert hatten, nimmermehr einspringen. Deshalb mußte sich die Frankfurter Kulturdezernentin Linda Reisch auf die Suche nach anderen Geldquellen begeben — offenbar bis heute ohne Erfolg. Für die Presse jedenfalls war sie seit Tagen nicht mehr zu sprechen.

Die Deutsche Kammerphilharmonie ist Teil einer einzigartigen Konstruktion: Das Orchester, bestehend aus den besten MusikstudentInnen der Republik, verwaltet sich gänzlich selber. Es gestaltet seine Programme in Eigenregie, es vergibt Aufträge an Komponisten, es wählt sich seine Dirigenten, es organisiert sich seine Gastspielreisen — und es verwaltet seinen Etat. Der Anteil, den es selber einspielt, ist beachtlich: 70 bis 80 Prozent der Kosten können aus den Erlösen von Konzerten beglichen werden.

Das reiche Frankfurt möchte für den Rest dennoch nicht mehr geradestehen. Die Stadt, die im Kulturbereich derzeit kürzt wie alle andern, will sich auf wenige Einrichtungen konzentrieren. Die beiden Schwester-Orchester der Philharmonie zum Beispiel sind gerade noch einmal durch die Maschen geschlüpft: Das „Ensemble Modern“ und die „Junge Deutsche Philharmonie“ kriegen weiter Geld. Beide sind ebenfalls dem Selbstverwaltungsmodell angeschlossen; die „Junge Deutsche Philharmonie“, hervorgegangen aus dem Bundesstudentenorchester, ist dabei die übergreifende Vereinigung, quasi das Plenum. Sie wird nur jeweils in den Semesterferien zusammengetrommelt, um sich Konzerte zu erarbeiten. Aus ihren Reihen nun haben sich „Ensemble Modern“ und die „Deutsche Kammerphilharmonie“ gebildet , letztere sozusagen als ihr Kern, als ihre ständige Vertretung im Musikschaffen.

Lästerzungen munkeln, die Kammerphilharmonie habe sich auf ihren vielen Gastspielreisen (u.a. mit Gidon Kremer und Heinrich Schiff) wohl weltweit umjubeln lassen, aber nicht eben im Städtel verankert. Jedenfalls war ihre Zukunft ungewiß, obwohl allen drei Orchestern gerade eine alte Fabrik am Frankfurter Ostbahnhof als Heimstatt ausgebaut worden war.

Prof. Albert, der mit der Kammerphilharmonie schon oft gearbeitet hat, hat also die Gelegenheit ergriffen und bastelt seither an einer Konstruktion, mit der sich das Ensemble in Bremen zuverlässig beheimaten ließe. Das ist so einfach nicht. Wie sagte da der Staatsrat Fuchs aus der Senatskanzlei: „Es kommt darauf an, wie hier das kulturelle Umfeld reagiert“. Auch war die Kostenfrage wieder einmal die größte von allen: Kultursenatorin Helga Trüpel, die anfangs von Bildungs- und Wirtschaftsressort umgangen worden war, besteht mindestens auf einer „Mischfinanzierung“. Aus dem Kulturhaushalt sei nur mit begrenzten Summen zu rechnen, jedenfalls „nicht mit zwei Millionen“. Mit einer? „Auch nicht“.

Mehr verlautet auch anderswo nicht übers Geld. Alle Befragten „denken positiv nach“, wollen aber sonst von nichts wissen. Gestern allerdings schickte die Kammerphilharmonie ihren erwählten Geschäftsführer Hannes Nimpuno nach Bremen, allwo er einige Tage lang nichts als Termine haben wird, und hinter allen Kulissen war freudige Aufregung zu vernehmen; es kann also, wie Mitwisser vermuten, schon heute die Sache gelingen. Manfred Dworschak