: Jüdisch-russische Selbsthilfeorganisation wird aktiv
■ Der FIS sucht nach einem Haus für Immigranten/ Der Initiator Alexander Sosnowski sucht nach Alternativen von Sozialhilfe und Abwerbung in die russische Mafia/ Eine Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Kulturverein ist geplant
Lichtenberg. Wer den im August letzten Jahres gegründeten »Verein zur Förderung von Immigranten aus der Sowjetunion« (FIS) sucht, muß detektivisches Gespür haben. In der hinterletzten Ecke von Karlshorst, hinter der Trabrennbahn und zwischen Obst- und Gemüsegroßhandel hat er in einem unauffälligen Betonkasten sein Domizil. Alexander Sosnowski, geistiger Vater des FIS, sitzt hier mit fünf weiteren ABM-Kräften und bemüht sich um die Förderung von Immigranten aus den GUS-Staaten. In Lichtenberg leben sie konzentriert. Von den 4.500 bis 5.000 in ganz Berlin, immerhin um die 500. Die meisten von ihnen leben seit ein oder zwei Jahren provisorisch in Wohnheimen. Trotz der hohen Qualifikationen — viele von ihnen sind Ärtzte oder Ingenieure — finden sie keine Arbeit und sind deshalb auf Sozialhilfe angewiesen. So ist die Integration schwer, und die meisten fühlen sich nutzlos. Alexander Sosnowski, selbst jüdischer Immigrant und bis Dezember 1991 als Berater im Lichtenberger Sozialamt tätig, weiß um all diese Probleme. Deshalb wurde im Juli 1991 die Selbsthilfeorganisation FIS gegründet. Im Zusammenhang mit dem FIS sollte ein Wohnhaus für die Immigranten und darin ein deutsch-jüdisch-russisches Kultur- und Begegnungszentrum errichtet werden. Der Lichtenberger Sozialstadtrat Gerhard Mucha half, soviel er konnte. Über ABM-Sachmittel konnten die Büroräume in Karlshorst angemietet, zwei Dolmetscherinnen ein Ökonom und ein Bauingenieur beschäftigt und eine Untersuchung über die soziale Situation in den Wohnheimen finanziert werden.
Nicht geglückt ist der Plan, ein ganzes Haus anzumieten und dort das Projekt einer Begegnungsstätte zu verwirklichen. Dabei hatte Sosnowski bereits ein attraktives Angebot für ein vier Etagen großes Haus in Karlshorst erhalten. Doch dessen Anmietung hätte 25.000 DM pro Monat gekostet, und dieses Geld ließ sich einfach nicht auftreiben. Weder Barbara John noch Christine Bergmann konnten helfen. Nun hat Sosnowski, um das Wohnhaus für Immigranten doch noch durchzusetzen, eine neue Idee. Zusammen mit dem Jüdischen Kulturverein und dem Frauenprojekt S.U.S.I. will man eine GmbH gründen. Dann ließe sich ein Projekt durchsetzen, daß, vom Arbeitsamt unterstützt, auch Beschäftigungsmaßnahmen für rund siebzig Immigranten sowie weitere fünfzig Arbeitsplätze nach Paragraph 19 Sozialhilfegesetz vorsieht. Bis zum 14. Mai soll die Gründung der gemeinnützigen GmbH, einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) entschieden sein.
Leider besteht das Angebot für das Haus in Karlshorst inzwischen nicht mehr. Die Suche nach einer Immobilie geht also von neuem los. »Wir würden auch eine Ruine nehmen«, sagt Sosnowski. Eine Projektgruppe, die sich um die Sanierung des Gebäudes kümmern würde, ist bereits zusammengestellt. Man hätte dadurch gleich mehrere Probleme auf einmal gelöst — Beschäftigung der Immigranten, Qualifizierung und am Ende ein gemeinsames Haus, träumt Sosnowski. »Einzeln haben Immigranten doch kaum eine Chance, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Als Sozialhilfeempfänger bekommen sie auch keine Kredite«, weiß er. Der FIS könnte als GmbH und mit mehr Geld auch Ideen von Immigranten finanzieren, die ihnen den Weg in die Selbständigkeit und Integration ebnen würden.
Eine Perspektive ist dringend geboten, denn die Sozialstudien ergaben, daß die Beschäftigungslosigkeit und schlechte finanzielle Situation der Immigranten ein guter Ansatzpunkt der »Grauen Sonne«, der russischen Mafia darstellen. »Wer aber dort erst mal drin ist, kommt nicht mehr raus.« Da ist sich Sosnowski sicher. Deshalb wirbt der FIS über persönliche Kontakte und soziale Umfragen engagiert für sein Programm. Doch Erfolg kann er nur haben, wenn für den einzelnen am Ende etwas Konkretes, wie beispielsweise eine Wohnung und ein Arbeitsplatz, herauskommt.
Sosnowski ärgert maßlos, daß die hohe Qualifikation der Immigranten nicht gebraucht wird, denn die Gefahr besteht, daß sie somit leichte Beute für die Mafia werden könnten.
»Diese sinnlose und für den Staat außerdem teure Warterei geht ja bereits los, wenn Immigranten noch in Rußland sind, aber bereits ihre Einreiseerlaubnis haben«, ärgert sich Diplom-Ökonom Sosnowski weiter. Er rechnet damit, daß weiter gut 30.000 Immigranten pro Jahr nach Deutschland übersiedeln werden, sowohl Juden als auch Deutschstämmige. Über sechs Monate vergehen von der Erteilung der Einreiseerlaubnis bis zum wirklichen Umzug nach Deutschland. Sosnowski meint dazu: »Viele können kein Deutsch und haben keine Kenntnisse über wirtschaftliche und soziale Strukturen in Deutschland. Diese Zeit könnte man doch bereits für ihre Vorbereitung zur Übersiedlung nutzen. Das würde viel Zeit und vor allem auch Geld sparen.« Damit könne der Staat bis zu 80.000 Mark Eingliederungs- und Sozialhilfe pro Immigrant sparen. Und natürlich wäre das auch viel besser für die Immigranten, die dann weniger Zeit für ihre Integration benötigen würden. Von diesem Gedanken ausgehend, plant der FIS deshalb, in Zukunft bereits in der GUS aktiv zu werden. Mit der Moskauer Universität hat man bereits einen Vertrag zur Weiterbildung von Immigranten abgeschlossen. In weiteren Städten befindet man sich in Gesprächen, und ab nächstes Jahr sollen Vorbereitungskurse bereits Realität und ein Büro des FIS eröffnet sein. Man will für alle Immigranten aus der GUS offen sein. Sowohl für Juden als auch Deutschstämmige. markstein
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