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Sündenbock Gewerkschaften

■ betr.: "Gewerkschaftliche Lebenslügen" (Demagogische Behauptungen zur Sicherung der Jobs in den neuen Ländern), taz vom 21.4.92

betr.: „Gewerkschaftliche Lebenslügen“ (Demagogische Behauptungen zur Sicherung der Jobs in den neuen Ländern) von Donata Riedel, taz vom 21.4.92

Es ist sehr zu bedauern, daß der Virus, fundierte Analysen durch unhistorisch-unsoziologische, dafür aber locker-flockige Polemiken zu ersetzen, nun auch die Wirtschaftsredaktion der taz befallen hat. Wie immer man die Notwendigkeit der Mittelstandsförderung (anstelle der kostenintensiven Sanierung der ostdeutschen Altindustrien) und der Lohnsubvention (anstelle der Kapitalförderung) einschätzen mag — eventuell sind dies gar keine Alternativen, sondern Ergänzungen zueinander —; es ist befremdlich, die Gewerkschaften, die ja kein „ideeller Gesamtkanzler“ sind, und nicht den real existierenden Kanzler zum Hauptadressaten dieser Forderungen zu machen.

Daß die Gewerkschaften dem nun eingetretenen Umverteilungsprozeß (nicht nur von West nach Ost, sondern auch von unten nach oben) keinen Beifall spenden, sondern die Vereinigungsversprechungen einfordern, spricht vielleicht für Phantasielosigkeit, wahrscheinlich eher für Hilflosigkeit. Daraus aber in einem Husarenritt durch ökonomische Versatzstücke die Anklage einer Lebenslüge zu produzieren, heißt sich am allgemeinen politischen Nebelwerfen kräftig zu beteiligen: Die Behauptung, es würde dem Osten nur besser gehen können, und das auch noch ohne große Kosten für den Westen, war nun wirklich keine gewerkschaftliche Lüge.

Gewerkschaften sind in diesem Land ein dankbarer Sündenbock — bieten sie doch der Kritikerin genügend Ansatzpunkte für eine spitze Feder. Nichtsdestotrotz: viele Forderungen eben dieser Gewerkschaften, so zum Beispiel diejenigen der anstehenden Tarifrunden, sind weitgehend Reaktionen auf die staatlichen Vereinigungspolitiken. Diese Reaktion unter Umkehr des tatsächlichen Lügner-Belogenen-Verhältnisses zu denunzieren, ist nicht kritisch, sondern schlicht und ergreifend: populistischer Verlautbarungsjournalismus. Andreas Wittkowsky, Bremen

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