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In Kabul behält Masud die Oberhand

■ Truppen des Mudschaheddin-Führers Hekmatyar aus dem Innenministerium vertrieben/ Machtkampf in Afghanistan scheint zugunsten des Übergangsrates entschieden — doch wie lange?

Neu-Delhi (taz) — Vorerst scheinen die Kämpfe um die Herrschaft in Afghanistans Hauptstadt zugunsten des Übergangsrates entschieden zu sein, der am Dienstag offiziell die Regierungsgewalt übernommen hat. In den frühen Morgenstunden des Mittwoch vertrieben die Rebellentruppen, die sich zur Zusammenarbeit mit dem Rat entschieden haben, die Kämpfer Gulbuddin Hekmatyars aus dem Innenministerium. Sie hatten sich dort, in ihrem letzten Stützpunkt in der Stadt, drei Tage lang verschanzt. Hekmatyar weigert sich bislang, den Übergangsrat anzuerkennen.

Die Lage in Kabul ist nach wie vor völlig unübersichtlich. Nach Berichten der 'BBC‘ sollen die zur Zeit mit dem Verteidigungsminister des Übergangsrates, Achmed Schah Masud, verbündeten Usbeken vor allem im Südwesten der Stadt äußerst brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen sein. Hunderte von Flüchtlingen haben Kabul inzwischen verlassen. Andererseits waren vor allem kleinere Läden wieder geöffnet. In der Nacht zum Mittwoch hatte die 1,5-Millionen-Stadt im Dunkeln gelegen, da die gesamte Stromversorgung lahmgelegt war.

Aus der letzten — und ironischerweise internen — Schlacht des dreizehnjährigen Krieges geht zweifellos der Mudschaheddin-Führer Achmed Schah Masud als Sieger hervor. Strategisches Kalkül und lange Kampferfahrung ließen ihn eine Taktik verfolgen, die den Gegner durch einen kurzen und massiven Einsatz aller Waffentypen rasch zum Nachgeben zwangen, ohne daß er dabei große menschliche Verluste in Kauf nehmen mußte.

Der Tadschike Masud konnte dabei offensichtlich von seinen Verbindungen zur afghanischen Armee profitieren. Die schlug sich überwiegend auf seine Seite, als General Azedi, der Vorsitzende des Armeerates, seine Ernennung als neuer Verteidigungsminister bekanntgab. Masuds Gegenspieler und Paschtune Hekmatyar hatte wahrscheinlich gehofft, daß ein Teil der überwiegend paschtunischen Offiziere und Soldaten zu ihm überlaufen würde.

Daß dies nicht geschah, weist auf Masuds Fähigkeit hin, zu verhindern, die persönliche Rivalität mit Hekmatyar in eine ethnische zwischen Tadschiken und Paschtunen umkippen zu lassen.

Dabei kam ihm wohl auch das Naturell des als grausam berüchtigten Hekmatyar entgegen, das viele Paschtunen-Führer bereits von ihm abspenstig gemacht hat. Diese Zusammenarbeit über ethnische Grenzen hinweg mag auch der Grund sein, daß der Funke des Kabuler Bruderkampfes bis zur Stunde nicht auf die Städte und Dörfer der Provinz übergesprungen ist.

Der eigentliche Test für die Überlebensfähigkeit wird nun aber auf der politischen Ebene laufen. Trotz seiner militärischen Niederlage wird Hekmatyars Gruppe wohl weiterhin die Option haben, den Posten des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Hatte doch der Chef des Übergangsrates, Sibgatullah Mudschaddidi, nach seiner Ankunft in Kabul erklärt, eine Zusammenarbeit mit Hekmatyar sei möglich, wenn dieser die Kämpfe in Kabul „bereue“.

Der Aufbau einer Verwaltung, allen voran der Polizei und einer Armeereform, wird sich gleichfalls stark auf die großen Milizen der Dschamiat-i-Islami Masuds und der Hisb-i-Islami Hekmatyars stützen müssen. Der neue Übergangsrat ist zu groß und so verschachtelt, daß er ohne eine starke Führung kaum wirksam werden kann. Hinter der versöhnlichen Übergangsfigur Mudschaddidis wird daher der Kampf um den Führungsanspruch weitergehen. Der Einfluß Hekmatyars bleibt daher — ob innerhalb oder außerhalb der neuen Machtstruktur— beträchtlich. So liegt die Befürchtung, daß es bald zu einer endgültigen Abrechnung zwischen den beiden Männern kommen wird, in der Logik der Dinge.

Die Regierung Pakistans, die Hekmatyar in der Vergangenheit — wie die USA auch — besonders stark unterstützt hat, hat nun sehr schnell den neuen Übergangsrat anerkannt und fordert ihren alten Schützling ständig auf, den Rat zu unterstützen. Bernard Imhasly/li

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