piwik no script img

Nicht laut genug

■ Wer über einem Straßencafé einzieht, sollte sich freuen, statt sich zu beschweren/ Der Lärm ist nichts im Vergleich zu dem, was sich Nachbarn gegenseitig an Geräuschen liefern

Schreib was über Straßencafés und Lärmbelästigung, hatte die diensttuende Redakteurin am Telefon gesagt. Warum nicht? Wo Menschen sind, da ist auch Lärm, und wo Lärm ist, fühlt sich garantiert jemand belästigt. Bis jetzt wollte mich auch noch nie jemand dafür bezahlen, daß ich den ganzen Nachmittag im Café rumsitze. Erfreut sagte ich zu.

Auf dem Weg zur U-Bahn dann die ersten Zweifel. Wieso sollte sich eigentlich irgend jemand von Cafés belästigt fühlen? Cafés sind keine Sportplätze, die im Zuge der Befriedigung überschüssigen Tatendrangs von heute auf morgen aus dem Boden gestampft werden und die Wochenendruhe stören, wie es sich rasend gebärdende Fußballfans tun.

Straßencafés gab es schon immer, und in der Regel zieht erst das Café ein, dem dann die Mieter folgen. Manchmal wechselt der Betreiber, selten aber die Nutzung. Ich habe noch nicht erlebt, daß aus einem Computerladen oder einer Änderungsschneiderei ein Café wurde. Eher umgekehrt. In meiner Umgebung waren die Cafés jedenfalls schon immer Cafés.

Am Görlitzer Bahnhof stellt sich die Frage, wohin? Das Haus, in dem sich das Morena einquartiert hat, hat einen Dachvorsprung, den Tauben dazu nutzen, Gästen in den Kaffee zu scheißen. Außerdem sitzt man da in der Sonne. Seit ich bei Sonne an Hautkrebs denke, bevorzuge ich Cafés auf der Schattenseite. Aber das Madonna ist noch geschlossen. Also ins Kloster. Dort bieten zwei Bäume Schutz vor UV-Strahlung.

Ich lasse mich auf einem Stuhl nieder und bestelle einen Milchcafé. Zurück zum Straßenlärm. Will sich hier jemand beschweren? Wer in ein Haus einzieht, in dem sich auch ein Café befindet, weiß schließlich, was ihn erwartet. Es erscheint mir unfair, sich ein halbes Jahr später über fröhliche Leute vor der Tür aufzuregen. Aber es gibt ja auch Menschen, die aufs Land ziehen und, noch bevor der Leim hinter der Schlafzimmertapete trocken ist, gegen quakende Frösche und krähende Hähne prozessieren.

Ich habe kein Verständnis für so was, aber ich bin auch nicht lärmempfindlich. Andererseits hat Lärmempfindlichkeit nicht unbedingt etwas mit Lärm zu tun. Als meine Nachbarin ihre Wohnung bezog, wohnte über ihr eine junge Frau, die mit großer Freude tagsüber U-Bahn fuhr und dabei einen aufnahmebereiten Kassettenrecorder mit sich führte, den sie besonders gern morgens um drei abspielte. Ich schätze, das half ihr beim Einschlafen. Meine Nachbarin störte sich nicht sonderlich daran, daß sie des öfteren fast aus dem Bett fiel, weil sie bei dem Satz »Richtung Ruhleben, bitte einsteigen« dachte, sie müßte noch raus aus der U-Bahn. Wie gesagt, ich bin nicht lärmempfindlich, aber in diesem Fall hätte ich doch auf den Putz gehauen. Meine Nachbarin begründete ihre Unempfindlichkeit mit dem nicht sehr einleuchtenden Argument, die über ihr sei eine nette Person. Seit einem Jahr jedoch wohnt dort ein junger Mann, dem es tiefe Befriedigung zu gewähren scheint, wenn er »I'll be looking for freedom« 25mal hintereinander spielt. Seine Freundin übt dabei in Cowboystiefeln Aerobic auf dem Holzfußboden. Damit aber zog sich der junge Mann noch nicht den Unwillen meiner Nachbarin zu. Zur Geräuschhypochonderin, die sie heute ist, entwickelte sie sich erst, als sie ihn eines Tages höflich um etwas gedämpftere Musik bat und er sie daraufhin zum Frühstück einlud. Kürzlich stand sie abends mit schmerzverzerrtem Gesicht vor meiner Tür und forderte mich auf, Zeugin des un-er-träg-li- chen Lärms über ihr zu werden. Ich ging mit rüber, machte es mir auf einem Stuhl bequem und lauschte. Nach fünf Minuten Schweigen lockerte ich meine vor Konzentration gespannten Gesichtsmuskeln und meinte: »Er hat wohl gerade eine Pause eingelegt.« »Hör genau hin.« Schließlich hörte ich leises Gemurmel — da oben sprach jemand. »Meinst du das Gemurmel?« »Na bitte, du hörst es auch.« Sie verstehen — er ist keine nette Person. Wer über einem Café einzieht, sollte vielleicht vorher prüfen, ob ihm die Kundschaft zusagt.

An diesem Punkt meiner Überlegungen angelangt, stelle ich fest, daß für meinen Geschmack manche Cafés einfach nicht laut genug sind. Die Musik im Kloster ist entschieden zu leise. Wenn der Kerl im ersten Stock nicht aufhört, die wehrlose Kundschaft mit Phil Collins zu beschallen, werde ich die Kellnerin bitten müssen, die Anlage aufzudrehen. Anja Seeliger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen