: „Ein Fossil? — Wir sind die Zukunft!“
■ „Aucoop“ feierte 15jähriges Jubiläum / Ostertor-Kollektiv mit 100 Beschäftigten in 7 Werkstätten
hier bitte das Gruppenfoto
Der ewige Charme der Aucoop! Da liegt, am Tage des 15jährigen Jubiläums, ein Zettel auf einem der Schreibtische: Am 1.5., 13 Uhr Aufräumdienst für alle! Solar-Projekt: Gang im ersten Stock aufräumen!“ — so, als wären die 15 Jahre spurlos vorbeigegangen. Mitnichten! Inzwischen arbeiten über 100 Leute in dem selbstverwalteten Betrieb, der damit eine der größten bundesdeutschen Koperativen ist — eine der ersten sowieso. Am Anfang waren es sechs, die in der alten 'Brema'-Brotfabrik mitten im Ostertor die „Ausbildungswerkstatt Bremen“ gründeten, die 'Brema' erstmal und gründlich besetzten und schließlich von der Stadt einen Nutzungsvertrag bekamen. Vor allem an „diese drei riesige Etagen voller Schutt, Schrott und Müll“ erinnert sich Andreas Tabukasch, damals arbeits- und ausbildungslos, einer der Mitbegründer der Elektro-Werkstatt. Die meisten dieser Kerngruppe sind heute noch dabei, und die drei Etagen-Hallen sind längst zu gut eingerichteten Büros und Werkstätten saniert. Andreas ist heute ausgebildeter Elektro-Installateur und sagt schlicht: „Das meiste, was ich heute kann und bin, bin ich durch die Aucoop.“
Was damals die HochschullehrerInnen Dorothea Brockmann, Johannes Beck und Uli Böhm angestoßen und das fest entschlossene Grüppchen von Arbeitslosen, StudentInnen und ausgebildeten LehrerInnen allen Realitäten zum Trotz schließlich in die Tat umgesetzt haben: Arbeit und Ausbildung für Jungendliche und Erwachsene zu schaffen, gerade angesichts der drohenden Massenarbeitslosigkeit. Das haben sie über alle Höhen und alle tiefen Löcher tatsächlich geschafft, ein kleines Wunder.
Drei Ausbildungsgruppen lernen seit Jahren Elektrotechnik bis zur Kammerprüfung, und obwohl viele der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluß oder oft ohne gute Deutschkenntnisse schlechte Startchancen haben, lassen sich die Ergebnisse sehen: Von 50 Prüflingen kommen 48 durch. Das wissen auch Behörden und Arbeitsamt, die nach ziemlichen Startschwierigkeiten die Ausbildungs- und Integrationsarbeit der Aucoop mit Maßnahmen und Zuschüssen fördern.
Heute hat die Aucoop außer der Lehrlings-Ausbildung sechs Werkstätten, die selbständig wirtschaften: Elektrik, Tischlerei, Schlosserei, Radladen, Café, ein Solar-Projekt für Langzeit-Arbeitslose. Die Elektriker zum Beispiel zahlen sich monatlich 1.800 Mark netto aus, „das entspricht etwa einem normalen Betriebslohn“, sagt Tabukasch. Besonders alternativ zu sein, ist den KundInnen gegenüber längst nicht mehr angesagt: „Ob Du kooperativ Kabel nagelst oder nicht, das ist fürs Ergebnis egal.“ Auch die Kundschaft gehört nicht mehr so zur grünalternativen Szene wie noch vor Jahren, „die haben jetzt ja auch schon alle ihre Häuser fertig...“
Wer wird am 15. Geburtstag einer selbstverwalteten Firma, zwischen Büffet, Behörden-Gästen und Schiffs-Fahrt, schon an nervige Plenumsversammlungen denken, an Zeiten mit Geldsorgen, an die Stoßseufzer der GründerInnen, daß doch bitte diejenigen entscheiden sollen, die sich auch mit einer Sache befaßt haben? Kooperative, das heißt nach innen: Die Verantwortlichkeiten rotieren. Für jede Baustelle bestimmen die Elektriker eine verantwortliche Person, aber das ist eben immer eine andere. Koooperative heißt auch, es ist „sehr stressig und mehr Arbeit, selbst gleichzeitig Chef und Angestellter zu sein“.
Nach wie vor ist das Plenum, inzwischen nur noch monatlich, höchstes, manchmal nerviges, aber unumgängliches Entscheidungsgremium. Die Aucoop ist ein dicker Tanker, schwer anzuhalten, aber auch nur sehr gemächlich in neue Fahrwasser zu lenken. Vielleicht wird es bald einen „geschäftsführenden Ausschuß“ geben. Vielleicht wird man auch dagegen stimmen.
15 Jahre Aucoop. Ulf Tetens, zugleich Fernmeldehandwerker, Elektro-Ingenieur, Berufschullehrer und Aucoop-Gründer, antwortet wahrheitsgemäß auf die Frage, wie lange er dabei sei: „16 Jahre“. Ist solche Selbstverwaltung nicht überholt, sind Kooperativen nicht ein Fossil der 70er Träume? Tetens: „Fossil? Wir sind die Zukunft!“ S.P.
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