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Kenia am Rande des Bürgerkrieges

Hunderte von Toten in der Provinz/ Angebliche „Stammeskämpfe“ von außen gesteuert/ Die Regierung wird verantwortlich gemacht/ Opposition fürchtet Ende der Demokratisierung  ■ Aus Nairobi Bettina Gaus

„Der Alptraum eines Bürgerkrieges wird in Kenia zur Realität“, schreibt der Journalist Muthui Mwai im Wochenendkommentar der führenden Tageszeitung 'Daily Nation‘. Es gibt kaum noch jemanden, der dieser Analyse widersprechen würde. Seit Wochen sind Provinzen in West- und Zentralkenia Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen verschiedenen Volksgruppen. Tausende von Familien haben ihre Bauernhöfe in panischer Angst verlassen.

Allein aus der Gegend um die Kleinstadt Molo haben sich 7.000 Familien in provisorische Auffanglager gerettet. 30.000 Männer, Frauen und Kinder campieren in dem Ort, notdürftig versorgt von Kirchen und Rotem Kreuz. Die Zahl der Todesopfer in der Region soll offiziellen Angaben zufolge 57 betragen — Beobachter aber glauben, daß Hunderte bei den Kämpfen getötet wurden. Väter und Mütter suchen verzweifelt nach ihren vermißten Kindern, Jungen und Mädchen forschen nach ihren Eltern. Der 15jährige Robert Makori ist mit vier Geschwistern dem Gemetzel entkommen. Er wird in der Tageszeitung 'Standard‘ zitiert: „Wir haben von einem Hügel aus beobachtet, wie unser Haus und die Häuser unserer Nachbarn angezündet wurden. Der Mob schoß mit Pfeilen oder hackte mit Äxten und Schwertern auf die ein, die versuchten, aus den brennenden Häusern zu entkommen.“ Der Junge wagt nicht, zum Leichenschauhaus zu gehen.

Was steckt hinter den Kämpfen, die so plötzlich in einem Land ausgebrochen sind, das drei Jahrzehnte lang als Musterbeispiel für Frieden und Stabilität auf dem Kontinent galt? Der griffige Ausdruck „Stammeskämpfe“, der im Ausland oft als hinreichende Erklärung für jeglichen Konflikt in Afrika hingenommen wird, besagt nichts. Jene, die hier angeblich plötzlich mit Pfeil und Bogen aufeinander losgehen, haben jahrelang friedlich als Nachbarn zusammengelebt und waren durch Heirat verbunden.

Gegenseitige Beschuldigungen

Niemand bestreitet mehr, daß die Kämpfe künstlich von außen in die Gegend hineingetragen wurden. Die Regierung beschuldigt die Opposition, für die Unruhen verantwortlich zu sein und gewaltsame Aktivitäten im ganzen Lande zu planen. Präsident Daniel Arap Moi erklärte, es habe keine „ethnische Gewalt“ gegeben, so lange im Lande ein Einparteiensystem geherrscht habe. Seine eigene Prophezeiung scheint sich so zu erfüllen: Nur auf massiven Druck der Geberländer hin hatte die kenianische Regierung im Dezember Oppositionsparteien zugelassen, und das Staatsoberhaupt hatte bereits damals erklärt, die Verfassungsänderung werde zu „Chaos und Anarchie“ führen.

Dieses seltsame Zusammentreffen der Ereignisse hat den Oppositionspolitiker Raila Odinga veranlaßt, die Kämpfe einen „sorgfältig geplanten terroristischen Akt“ zu nennen, mit dem „die Richtigkeit von Mois politischer Theorie bewiesen“ werden solle. Die Anschuldigungen mehren sich: Tausende von Pfeilen, die aus Südkorea stammen sollen, sind angeblich vom kenianischen Flughafenzoll entdeckt worden. Der Regierung wird vorgeworfen, trainierte Kämpfer in die Gegend transportiert zu haben und sie per Helikopter mit Pfeilen zu versorgen. Sogar im Parlament erklärte jetzt ein Abgeordneter: „Die kenianische Regierung steckt hinter den Unruhen.“ Oppositionelle fürchten, daß die Regierung die Kämpfe künstlich entfacht hat, um einen Vorwand zu haben, den Notstand ausrufen zu können und dem Demokratisierungsprozeß ein Ende zu setzen.

Ein Diplomat sieht die Regierung in der Lage des „Zauberlehrlings“, der die Geister nicht mehr loswird, die er rief.“ Tatsächlich mehren sich Berichte, denen zufolge in der Hauptstadt Nairobi unbewaffnete Kalenjin von anderen Bürgern angegriffen wurden. Kalenjin, das kleine Volk, zu dem auch Präsident Moi gehört, gelten in den Augen der Mehrheit als Angreifer bei den Kämpfen auf dem Land. Die Ereignisse verändern die Stimmung: „Ich hatte jetzt geschäftlich mit einem Kalenjin zu tun“, erzählt ein Restaurantbesitzer in Nairobi, der zum Volk der Kikuyu gehört. „Wir waren sehr freundlich zueinander, uns aber die ganze Zeit hindurch bewußt, daß wir zu verschiedenen Völkern gehören. Das wäre vor einem halben Jahr noch undenkbar gewesen.“

15 Kirchenführer, die üblicherweise mit politischen Äußerungen zurückhaltend sind, haben Präsident Moi jetzt scharf angegriffen: „Wir müssen Ihnen offen sagen, daß Sie die Situation falsch einschätzen“, schrieben sie in einer Stellungnahme. „Wenn Sie die gegenwärtige Politik nicht ändern, wird Kenia zum Friedhof von Tausenden seiner Söhne und Töchter. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, die Wahrheit ist, daß die Menschen das Vertrauen in Sie und diejenigen, die Ihnen nahestehen, verloren haben.“

Diese Einschätzung bestätigt auch eine Meinungsumfrage in der 'Nation‘: Danach bescheinigen 86 Prozent der Bevölkerung dem Parlament unbefriedigende oder schlechte Arbeit. Der Polizei wird ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt: 79,6 Prozent sehen in den Beamten Gegner. Mehr als die Hälfte der Befragten ist schon einmal Zeuge von brutalen Übergriffen der Polizei gewesen, fast jeder vierte hat sie selbst erlitten.

Zerstrittene Opposition

Die Regierung steht im Zentrum schwerer Beschuldigungen — aber auch ihren Gegnern scheint ein Konzept zu fehlen, um die Krise zu meistern. Die größte Oppositionspartei FORD zerfleischt sich in öffentlichen Machtkämpfen. Tausende versammelten sich am Samstag in Nairobi, um Kenneth Matiba willkommen zu heißen. Der FORD-Politiker hatte sich fast ein Jahr lang in London von einer schweren Krankheit erholt, die ausgebrochen war, nachdem er elf Monate ohne Anklage in politischer Haft gehalten worden war. Heute sehen viele in ihm den neuen politischen Führer Kenias. Bereits am Tag seiner Heimkehr aber zeichnete sich ab, daß die FORD-internen Streitereien nun in eine neue Runde eintreten dürften. Kein Vertreter der Parteispitze hieß Matiba willkommen. Statt dessen meldete der FORD-Vorsitzende Odinga Oginga, einst Vizepräsident unter Jomo Kenyatta, auf einer politischen Versammlung im Westen des Landes erneut seinen Anspruch auf die Präsidentschaftskandidatur an.

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