Ende des Nationalstaats

■ Das kosmopolitische Kapital formt die internationale Ordnung neu

Rolf Kniepers Versuch über Ende und Anfang einer Weltordnung ist eine Polemik gegen all diejenigen, die Entwicklungspolitik durch Kredite betreiben wollen mit dem Ziel, weltmarktkonkurrenzfähige Nationalstaaten aufzubauen. Solch einem „Ende der Geschichte“ setzt er eine Internationalisierung des (Rechts-) Staates entgegen. So geht er in seinem Nachwort auf die von der UNO abgesegnete Militäraktion in Kuwait/Irak ein und sieht hierin eine positive Tendenz, die durch den Aufbau einer „UN-Streitmacht“ sowie der „Denationalisierung“ und Demokratisierung der UNO vorangetrieben werden muß (S. 224).

Ausgangspunkt ist die Antiquiertheit nationaler Souveränität, die sich für Knieper sowohl aus der Unmöglichkeit, ein „Volk“ zu definieren, als auch aus der weltweiten Interdependenz wirtschaftlicher Prozesse ergibt. Gegen nationale protektionistische Politiken in der Tradition Friedrich Lists führt er folglich den „Kosmopolitismus“ Adam Smiths an, „der die Wirtschaft auf autonome Individuen gegründet dachte und nicht als Nationalökonomie“. Seine Argumentation gegen die Möglichkeit nachholender nationaler Entwicklung/Modernisierung beruht auf zwei allgemeinen theoretischen Gedanken:

1.Durch die „grundlegend geänderten Strukturen des Weltmarktes“ kommt das Kapital „erst jetzt zu seinem Begriff“. Die Transnationalisierung der Unternehmen und die weltweite Integration von Finanzmärkten sind Ausdruck für diesen Prozeß. Folglich entzieht sich das Kapital der „Zusammenfassung zu einem nationalen Kapital“ (S.84—86).

2.Eine staatliche Begrenzung dieser Internationalisierungstendenz zugunsten nationaler Kapitalbildung würde „das nationale Kapital an seiner Funktionsnormalität hindern, so also zerstören oder subventionieren“. Im Rahmen der „Trennung von Ökonomie und Politik“ — so Knieper — „widerspricht ein solches Verhalten der Idee der absoluten Souveränität“, die ihre „Daseinsberechtigung“ gerade daraus bezieht, „privates Eigentum zu schützen und zu fördern“ (S. 83—84).

Nur aufgrund seines zweiten Arguments kann Knieper schlußfolgern, daß nationale Politiken überhaupt hinfällig geworden sind. Hier offenbart er sein Marktverständnis, das mit dem der neoklassischen Ökonomen — z.B. bei Weltbank und IWF — durchaus übereinstimmt. Weder die vielfältigen Effekte des Marktversagens noch der dynamische Charakter der kapitalistischen Weltwirtschaft werden weiter analysiert. Berücksichtigt man diese, so stehen zumindest kurzfristige Staatseingriffe der „Funktionsnormalität des Kapitals“ nicht entgegen, sondern ermöglichen diese unter Umständen erst.

Wesentlich stärker ist Kniepers juristische Argumentation: „Die Institutionen, die über Entschuldung und Subvention die Staatsausgaben der finanzschwachen Länder mitfinanzieren, sind der peinlichen juristischen Klärung der Frage enthoben, ob die Verpflichtung zur Rückzahlung von Entwicklungskrediten auch dann besteht, wenn die zu finanzierende Entwicklung nicht stattgefunden hat.“ (S. 181—182) Hieraus resultiert ein durchaus interesssanter Ansatz zur Lösung der Schuldenkrise.

Vom Hegel-Schüler Fukuyama unterscheidet sich der Hegel-Schüler Knieper dadurch, daß ersterer annimmt, das Ende der Geschichte sei bereits erreicht, und letzterer behauptet, es fehle noch die letzte Entwicklungsstufe: die Auflösung der nationalen Souveränität durch Internationalisierung des (Rechts-)Staates. Zur Funktionsfähigkeit dieses „kosmopolitischen Kapitalismus“ gehört nicht nur die wirtschaftliche Freiheit, sondern auch die „Freiheit der gewerkschaftlichen und anderen verbandlichen Tätigkeiten sowie Freiheit der Presse“ und die Erweiterung der „Definition der allgemeinen Produktionsbedingungen über die Physischen Infrastrukturen hinaus“. „Schutz ist nicht nur dem Eigentümer von Kapital, sondern auch dem von Arbeitskraft zu gewähren, d.h. seiner Reifung, seiner Reproduktion, seiner Regeneration.“ (S.213-214) Auf dieser Grundlage ist dann ein „Länderfinanzausgleich“ à la BRD auch auf internationaler Ebene zu schaffen.

In diesem Zusammenhang will Knieper das Elend der Moderne umgehen: das Dilemma, aus sich selbst heraus letzte Wertmaßstäbe entwikkeln zu müssen. Es gelingt ihm nicht. Denn daß die von ihm eingeforderte soziale Absicherung weltweit eine objektive Funktionsbedingung des Weltkapitalismus ist, kann — gerade auch aus historischer Perspektive — kaum angenommen werden. K.s Forderung ist also moralischer Natur.

Darüber hinaus sind der Ausbau und die Demokratisierung der UNO (einschließlich IWF und Weltbank) durchaus erforderlich, um überhaupt politischen Einfluß auf die Weltökonomie nehmen zu können. Wie diese neue Megainstitution aber tatsächlich funktionieren kann und wie sie kontrolliert werden soll, läßt Knieper offen. A. Wittkowsky/R. Kappel

Rolf Knieper: Nationale Soveränität. Versuch über Ende und Anfang einer Weltordnung. Fischer, Frankfurt/Main November 1991, 19,80DM