INTERVIEW
: „Man stirbt nur einmal“

■ Der Ingenieur Anil Agarwal vom indischen „Zentrum für Wissenschaft und Umwelt“ über globale Klimapolitik und den Erdgipfel in Rio

taz: In Rio wird es zu Kontroversen zwischen den Ländern des Nordens und des Südens kommen. Grundlage für die Position insbesondere der USA sind die Berichte des renommierten Washingtoner World Resource Institute (WRI). Sie haben Meinungsverschiedenheiten mit dem WRI, welche?

Anil Agarwal: Das WRI hat in seinem letzten Bericht behauptet, Indien und Brasilien gehörten zu den fünf Hauptverantwortlichen für die globale Erwärmung des Erdklimas. Sie bezichtigen die indischen Bauern, durch Viehhaltung und Reisanbau zuviel vom Klima-Gas Methan zu produzieren.

Es war für mich überraschend zu hören, daß ausgerechnet die Armen der Grund für die Klimaveränderung sein sollen. Ich habe mir daraufhin die Daten angesehen, auf denen diese Einschätzung beruht. Laut WRI führt nicht die Summe der CO2- Emissionen zur Klimaveränderung, sondern der Mangel an Kohlendioxid-Senken, die Verschmutzungen absorbieren könnten (Senken sind Wälder, Meere etc., wo Kohlendioxid wieder eingefangen und umgewandelt wird, A.d.R.). Die Frage ist dann, wem gehören die Senken, also die Ozeane? Unter der Hand unterstellt der WRI, der Anteil an den Senken richte sich nach dem Anteil an Emissionen. Wenn die USA beispielsweise die Hälfte der CO2- Emissionen der Welt verursachen, gehören ihnen demnach auch die Hälfte der Senken. Die gehören aber nun mal weder den USA noch Deutschland, noch Indien, sondern der gesamten Menschheit. Alles andere wäre Umwelt-Imperialismus. Wir benutzen also dieselben Zahlen wie das WRI, machen aber eine andere Voraussetzung: Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf CO2-Senken und damit auch auf Emissionen.

Stimmt die indische Regierung mit Ihren Auffassungen überein?

Im Grundsatz vertreten viele Entwicklungsländer den Standpunkt, sie hätten das Klimaproblem nicht geschaffen. Doch glaube ich nicht, daß die indische Regierung unsere Position in Rio vertreten wird. Selbst wenn sie in der Sache unserer Meinung ist, wird sie sich scheuen, den USA zu deutlich entgegenzutreten. Meine Hauptkritik an der indischen Regierung ist, daß sie die politische Herausforderung, die in der Tagesordnung von Rio liegt, nicht angenommen hat. Denn darauf stehen die Themen, die für die entwickelten Länder von Bedeutung sind, wie Ozonloch, Klimaerwärmung, Artenvielfalt. Für uns sind das auch Probleme, aber mit einem anderen Stellenwert. Für uns ist die Armut am wichtigsten und ein Weltwirtschaftssystem, das uns für unsere Produkte nicht die vollen, auch ökologischen Kosten bezahlt.

Meine Regierung sollte aufstehen und — mit allem moralischen Recht — sagen, was aus unserer Sicht das Beste für die Erde, auch für die USA und Deutschland, ist; schließlich zögert man dort auch nicht, uns Ratschläge zu geben.

Die indische Regierung sollte dem Norden ins Gesicht sagen: „Ihr habt die Probleme geschaffen, also lernt zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte, euch zu benehmen.“

Statt dessen, fürchte ich, wird meine Regierung zu wenig zu Hause tun und auf internationaler Ebene zu viele Kompromisse schließen.

Wenn die politische Blockade weiterhin Lösungen verhindert, wird es wohl zur Destabilisierung des Erdklimas kommen. Sollten darum nicht auf jeden Fall Kompromisse gesucht werden?

Ich verstehe die Logik des Nordens nicht. Sie sagen: „Das Erdenklima wird sich erwärmen.“ Okay, es wird dann mehr Trockenheit geben, und viele Menschen werden sterben. Aber es sterben schon jetzt viele Menschen. Das Klima verändert sich in weiten Teilen Afrikas bereits. Nicht wegen der CO2-Emissionen, sondern weil das ökonomische System die Menschen dazu zwingt, den Landverbrauch zu erhöhen und die Bäume zu verbrennen. Die Menschen sterben also sowieso. Warum sagt man uns nun, hier ist noch ein Problem, an dem ihr sterben könnt. Man kann nur einmal sterben.

Die größten Probleme des Südens sind heute Land- und Wasserverschmutzung. Das liegt eben in der Hauptsache daran, daß Computer immer teurer, Bananen immer billiger werden. Wenn wir die Ressourcen hätten, würden wir Indien begrünen. Das wäre ein enormer Beitrag zur Klimastabilisierung.

Glauben Sie, die Industrieländer werden ihre Art des Produzierens und Konsumierens rasch ändern?

Ich sage ja nicht, der Norden müsse seine Konsum- und Produktionsgewohnheiten umstellen, er soll nur für die von ihm verursachten ökologischen Kosten aufkommen. Wenn wegen des Autofahrens in Deutschland der Meeresspiegel ansteigt und dann Teile Bangladeshs ertrinken, so sind die ökologischen Kosten einfach zu hoch.

Der Internationale Währungsfonds sagt uns immer: „Ihr habt über eure Verhältnisse gelebt, nun müßt ihr sparen. Das bedeutet zwar weniger Schulden und mehr Arbeitslose, aber so werdet ihr wettbewerbsfähig, und das wird euch auf lange Sicht guttun.“ Nun, so sagen wir euch: „Die ökologische Umstrukturierung wird euch einiges kosten und Probleme bringen. Aber ihr habt über die ökologischen Verhältnisse der Erde gelebt, und am Ende wird es besser für euch und die Erde sein, wenn ihr nun die Kosten in Kauf nehmt.“

Wie bewerten Sie die zurückhaltende Haltung der amerikanischen Regierung in der Klimapolitik?

Die Amerikaner wollen die Welt führen, aber sie haben keine Vision, wie sie selber zum besten der Erde leben können. Ich habe nichts gegen den „american way of life“. Aber wenn er bedeutet, daß ein Drittel von Bangladesh ertrinkt, muß man wohl etwas daran ändern.

Was erwarten Sie konkret von Rio?

Die Entwicklungsländer haben Angst, die Bürde für ein Problem tragen zu müssen, für das sie nicht verantwortlich sind. Der Norden ist seinerseits nicht bereit, irgend etwas zu tun. Ich fürchte aber, die Entwicklungsländer werden als Verlierer aus diesem Prozeß hervorgehen. Denn wenn die USA sich dazu entschließen, die anderen Länder davor zu warnen, Konkretes zu beschließen, werden nur wenige nein zu den Vereinigten Staaten sagen.

Wird Rio dann für die Entwicklungsländer nicht mehr als eine Fund-raising-Gelegenheit sein?

Geld ist wichtig, wenn man arm ist. Darum kann es schon sein, daß einige Länder den Gipfel danach bemessen, wieviel Geld sie bekommen. Was ich mir statt dessen wünschen würde, wäre eine internationale Demokratisierung der Ressourcen. Ökonomisch gilt das Prinzip der gegenseitigen Einmischung schon. Die Politik muß sich daran anpassen.

Wenn die UNCED dafür ein Bewußtsein schafft und dafür, daß jeder seine eigenen ökologischen Kosten zu tragen hat, wäre das ein Erfolg. Sonst hangeln wir uns von Konvention zu Konvention.

Wird der Erdgipfel zum größten Nicht-Ereignis des Jahrhunderts?

Ein Nicht-Ereignis, ja, aber eines, das für mich gleichzeitig einen Traum zerstört, der von einer Menschheit handelt, die sich ihrer Krise bewußt ist und rational und gemeinsam Lösungen findet. Das Gegenteil scheint einzutreten. Die Krise macht alle nur noch härter und versteifter in ihren jeweiligen Positionen. Gespräch: Bernd Ulrich