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In Sierra Leone ergreift die Jugend die Macht

■ Der 27jährige neue Staatschef Valentine Strasser verkörpert ein Bündnis unzufriedener Soldaten und Studenten

Berlin (taz) — Das kleine westafrikanische Sierra Leone hat seit Montag abend den jüngsten Regierungschef der Welt: Die Militärjunta, die am vergangenen Mittwoch Präsident Momoh gestürzt hatte, ernannte den 27jährigen Soldaten Valentine Strasser zu ihrem Vorsitzenden — er wird gleichzeitig Staats- und Regierungschef sowie Verteidigungsminister.

Es ist nicht nur ein politischer, sondern auch ein Generationswechsel. Der gestürzte John Momoh war 55 Jahre alt und liebte den Personenkult. Eine Sonderausgabe des Blattes 'The Nation‘ im Januar widmete 16 ihrer 24 Seiten halb- oder ganzseitigen Glückwunschanzeigen — zum Beispiel: „Herr und Frau Mahmoud Khadi, im Auftrag des ,City Link Bus Service‘, offerieren Seiner Exzellenz Präsident Major-General J.S. Momoh zum Anlaß seines 55. Geburtstages herzlichste Gratulationen und beste Wünsche.“

Die unmittelbaren Anlässe seines Sturzes waren banal. Seit sieben Monaten sind Sierra Leones Soldaten nicht mehr bezahlt worden. Ein im Januar fertiggestellter Untersuchungsbericht über die Hungergehälter im öffentlichen Dienst schlummert in den Präsidialschubladen vor sich hin. Seit Jahresanfang kommt es immer wieder zu Demonstrationen und Streiks der Lehrer, Studenten und Professoren. Doch die Allianz von Jugend und Militär, die jetzt die Macht ergriffen hat, entspringt auch dem Verdacht, Momoh, der 1985 an die Macht gelang und Sierra Leone zwei Jahre später zum Einparteienstaat unter Führung des „All Peoples Congress“ (APC) machte, wolle die letztes Jahr mit großem Pomp verkündete Demokratisierung wieder stoppen. Als Vorwand würde dabei die Verwicklung des Landes in den Bürgerkrieg des benachbarten Liberia dienen.

Liberia und Sierra Leone verdanken beide ihre Existenz der Einschiffung freigelassener Sklaven aus den USA im späten 18. und frühen 19.Jahrhundert, die den sumpfigen Küstenstreifen besiedelten und die Völker des Landesinneren blutig unterdrückten. In beiden Ländern wurde diese Fremdherrschaft schließlich beendet — im ehemals britischen Sierra Leone übernahm 1964 zum ersten Mal die einheimische, später von Momoh vereinnahmte APC die Macht; 1980 vertrieb Samuel Doe in Liberia die „US- Kolonialisten“.

Als 1990 in Liberia Bürgerkrieg ausbrach, eilte Momoh seinem Amtskollegen Doe zu Hilfe: Freetown diente als Basis für die westafrikanischen Eingreiftruppen, die im August Liberias Hauptstadt Monrovia besetzten und den Rebellenführer Charles Taylor am Sieg hinderten. Taylor, der das Binnenland Liberias kontrolliert, revanchierte sich, indem er im April 1991 nach Sierra Leone einmarschierte und Momoh für einige Wochen in Bedrängnis brachte. Die Brutalitäten der Taylor- Kämpfer erlaubten es Momoh jedoch, sich als Retter der Nation zu profilieren: Er schaffte den Einparteienstaat ab und setzte freie Wahlen für Ende 1992 in Aussicht. Doch entpuppte sich dies bald als machtpolitisches Manöver. Kurz nach der Zulassung von Oppositionsparteien im November 1991 drohte er mit der Verhängung des Ausnahmezustands — wegen des angeblich nicht endenden Krieges. „Jeder intelligente Analytiker“, schrieb im Januar die Zeitung 'The Independent‘, „sollte jetzt das APC-Interesse an dem Krieg durchschauen: Solange Krieg herrscht, gibt es keine Wahlen.“

Die neuen Machthaber haben nun vor allem versprochen, den Demokratisierungsplan einzuhalten. Unterstützung in Form eines Aufmarsches haben sie von den Studenten erfahren, die bereits Ende Januar in Freetown mit schwarzen Armbändern zum Gedenken an die im Krieg gefallenen Soldaten gegen die Regierung demonstriert hatten. Das Ausland hingegen erscheint reserviert; die USA sind sogar dabei, ihre Staatsbürger zu evakuieren. D.J.

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