: Die Gefahr ist der Sog aus den Drittweltstaaten
■ Neben dem Ausverkauf der Ostblockstaaten macht auch die verstärkte Waffenproduktion in „Schwellenländern“ viele Abrüstungsversuche zunichte/ Immer noch 900 Milliarden Dollar jährlich für Waffen
1987 bis 1991: Künftige Historiker werden den Zeitraum vermutlich als „die Wendejahre“ einordnen. Sicher: Die Perestroika der Sowjetunion und das Ende des Kalten Krieges in den Ost-West-Beziehungen haben vor allem eine radikale politische Veränderung bestimmt. Doch die erste Manifestation dieser politischen Wende geschah auf einem Sektor, der bis vor wenigen Jahren allenfalls zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß gab: dem des Rüstungswettlaufs. Alle wußten, daß ein Krieg Millionen Menschen töten und die schlimmste Menschheitskatastrophe aller Zeiten auslösen würde.
Heute scheint all das weit zurückzuliegen. Mit dem Vertrag zur Eliminierung der Euro-Raketen (Pershing und SS 20) von 1987 und den einseitigen Abrüstungsschritten von USA und UdSSR wurden beträchtliche Mengen des Atomwaffenpotentials abgebaut, der Alptraum scheint vorüber. Dennoch liegt immer noch ein weiter Weg für alle Abrüstung vor uns, und er ist steinig. Noch immer stehen auf der Welt mehr als 50 Millionen Menschen unter Waffen. Die Ausgaben für militärische Zwecke gehen zwar zurück, betragen aber weltweit immer noch an die 900 Milliarden Dollar im Jahr; mehr als 50.000 Atomwaffen und Hunderttausende chemischer Waffen bleiben intakt. Der Golfkrieg hat die Instabilität großer Gebiete gezeigt, dazu zeigen sich auch immer mehr die Folgen unkontrollierbaren Handels mit unkonventionellen Waffen sowie die Weitergabe von Know- how über Massenvernichtungsmittel und weitreichende Raketen.
Gefahr von drei Seiten
Die größte Gefahr droht hier, neben dem illegalen Handel und dem Ausverkauf von Waffen aus Abrüstungsstaaten, von drei Seiten. Einerseits und vor allem gibt es einen Sog, der von den Ländern der Dritten und Vierten Welt auf ihre lokalen Gebiete ausgeht. Die Militärausgaben in der Dritten Welt steigen trotz offizieller Abrüstung und diverser internationaler regionaler Abkommen unentwegt: Nimmt man den Vorderen Orient aus, wo nach den besonders hohen Ausgaben während des Golf- und des Irakkriegs die Quoten wieder auf das Niveau von Anfang der achtziger Jahre zurückgehen, so steigen die Rüstungsanstrengungen nahezu überall beträchtlich. In Südasien haben sich die Ausgaben zwischen 1980 und 1091 nahezu verdoppelt (von sieben auf vierzehn Milliarden Dollar jährlich), in Fernost sind sie in diesem Zeitraum von 18 auf 26 Milliarden gestiegen, in Zentral- wie in Südamerika steigt erstmals seit Beendigung des Falklandkrieges das Budget insgesamt wieder. Lediglich in Afrika ist eine leichte Entspannung zu verzeichnen, von 14 auf 12 Milliarden Dollar.
Streitkräfteausbau mit Schwung
Betrachtet man einzelne Länder dieser Regionen im Detail, so erkennt man, mit welchem Schwung diese den Ausbau ihrer Streitkräfte und Waffenarsenale betreiben: Saudi- Arabien zum Beispiel hat bereits lange vor dem Irakkrieg seine Panzer verzehn-, seine Kampfflugzeuge verdreifacht, Israel die Panzer vervierfacht, die Flugzeuge verdoppelt. Selbst dort, wo im Augenblick gar keine Konflikte drohen, geht es munter aufwärts: Pakistan und Südkorea haben ihre Kampfstärke auf diesen Gebieten jeweils verfünffacht beziehungsweise verdoppelt.
Zweitens provoziert die fortschreitende Vereinfachung und Verbilligung der Produktion moderner Waffen die große Versuchung auch für Länder außerhalb der sogenannten „Ersten Welt“, nun ihrerseits die von den Großmächten in Abrüstungsverträgen beschränkten oder durch den Kapazitätsabbau in der Ersten Welt knapper werdenden konventionellen Waffen selbst herzustellen und zu verkaufen. Israel, Indien, Pakistan, Südafrika, Argentinien und Brasilien sind längst zu erstklassigen Ausstattungsadressen geworden.
Drittens schließlich, nicht zu unterschätzen: Auch Erstweltländer, die offiziell den Abrüstungsverträgen anhängen, setzen sich heimlich oder durch Anpreisen besonders zuverlässiger und daher auch bei hohem Preis rentabler Waffen sektorial an die Stelle der bisherigen Massenverkäufer USA und UdSSR. Ein Blick auf die Ausfuhren in die Dritte Welt zeigt dies.
So hat zum Beispiel China seinen Waffenexport in die Dritte Welt seit 1970 von 200 Millionen Dollar auf mittlerweile fast eine Milliarde gehoben, die Bundesrepublik legte in diesem Zeitraum von drei Millionen auf eine halbe Milliarde zu — wohlgemerkt, alles nur in die Dritte Welt. Holland erlebt Ende der achtziger Jahre geradezu eine Hochkonjunktur, von 38 Millionen Dollar 1985 stiegen die Drittweltexporte auf 600 Millionen. Stabil und unberührt von den eigenen Abrüstungsbekundungen liegt Großbritannien bei zirka einer Milliarde Dollar. Dazu kommen natürlich die jeweiligen Dunkelziffern durch illegalen Export — sie betragen ein Vielfaches der hier angegebenen Summen. Der Markt der Waffen boomt in vielen Erdteilen unberührt weiter. C. Ricchini, L. Melograni,
E. Manca, F. Colli
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