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Block P wie positiv

■ „Beirut“ vom Jugendclub des Bremer Theaters / Über AIDS, nicht über Lümmeltüten

Carsten Golbeck und Julia Schöb in „Beirut“Claudia Hoppens

Da hört der Skeptiker, daß der JUGENDCLUB des Bremer Theaters sich in einem Stück der Aids-Problematik annehmen will und befürchtet Fürchterliches: Sozialfürsorgerisches Laienspiel, sponsored by AOK und FROMMS. Und die Moral von

hierhin das nette Paar

der Geschicht' — tu's ohne Lümmeltüte nicht. Der Skeptiker kann beiseitetreten — das Stück ist da: Regisseur Ralf Weyrowitz und sein junges Ensemble entschieden sich für „Beirut“ von Alan Browne, und das ist eben keine PR-Revue für elektronisch ge

prüfte Überzieher.

Beirut. Synonym für ein gar nicht allzu futuristisches Positiven-Getto. Block P wie positiv wie prisoner of war. Draußen reguliert die vorbeugende Friefhofsordnung alle Wünsche nach Nähe. Das Kingdom of Kondom garantiert seinen Untertanen zwanzig, dreißig Jahre Rentenbezug, existierend/vegetierend auf dem Zementband gedankenpolizeilicher Tag-und-Nacht-Kontrolle. Vernunft gegen Lust, Ordnung gegen Leben. Das dramatische Geschehen im düsteren Brauhauskeller ist keineswegs theatrale Vorlage zur Seuchenprävention — zur einstimmenden Erläuterung wird vielmehr „Das obszöne Werk“ von Georges Bataille bemüht:

Es gibt nicht eine einzige Art von Widerstand, in der ich nicht eine Affinität zum Verlangen erkenne... Wir erreichen die Ekstase nicht, wenn wir nicht — und sei es in der Ferne — den Tod, die Vernichtung vor uns sehen.“

Das vorgebliche Aids-Stück wirft die grundlegende Frage auf, ob Freiheit und Glück erreichbar sind in der kontrollierten Ver- und Umsorgung sozialstaatlicher Fürsorglichkeit, die stets um das Beste des Individuums weiß und ihm die Mündigkeit zur Entfernung von diesem Besten verweigert. Das Lager als die perfekte Organisationsform erbarmungsloser Ratio.

Mit hemmungslos präsentierter Lebens- und Liebeslust zeigt Julia Schöb als „negative“ Blue eine junge Frau, die sich bewußt aus der kontrollierten „Freiheit“ in die paradoxe innere Offenheit des Positiven-Gettos begibt, um ihrem Freund Torch nahezusein, den Carsten Golbeck mit gespenstischem Realismus ausspielt.

Zwischen DRINNEN und DRAUSSEN steht die alles kontrollierende Wache, mit der brutalen Geilheit beschränkter Macht dargestellt von Matthias Hörnke. Die Regie beweist viel Sinn für bizarre Effekte und läßt sich voll auf die gedankliche Arbeit des Autors ein — hieraus folgt vielleicht ein allzu hoher Respekt vor manchen Dialogen, deren Papiergeraschel durch gezielte Streichungen vermeidbar gewesen wäre...

Ulrich Reineking-Drügemöller

Wer sich' s zutraut: „Beirut“ ist noch am 6.,12.und 13.Mai jeweils um 2O.3O h im Brauhauskeller des Bremer Theaters zu sehen.

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