piwik no script img

Das Prenzlauer Barock

■ Lutz Rathenow, der lyrische Held, läßt das Dichten und Reimen nicht

Zärtlich kreist die Faust«; kein Wunder, denn »Ich finde das Tier nicht / in dem ich stecke«, und »Schutzreflexe bestimmen den Tag«. — Wenn Texte unnütz und dazu noch wenig schön sind, zugleich eine gewisse lästige Aufgeblasenheit an den Tag legen, kann sich's nur um Lyrik handeln. Oder, genauer: um das, was ein an Schreibdrang Leidender für Lyrik hält und einem inkompetenten Verleger andrehen konnte.

Lutz Rathenow, der im vorliegenden Fall zärtlich die Faust kreisen läßt, hat sich bekanntlich große Meriten als Bürgerrechtler in der ehemaligen DDR erworben. Daß er aufgrund dieses politischen Faktums für einen Dichter gehalten wird, hat die Literatur ebensowenig verdient wie die Tonkunst Kurt Masurs versehentliche Adelung zum Weltklassemusiker.

»Ich verfolge das Schleichen der Sonne / am Himmel, / die das Hasten der Wolken unbeirrbar verfolgt«: Haben wir nicht alle irgendwann mal derart linkische, gedankenarme, unsichere und daher extra dick daherkommende Verse verfaßt? Aber veröffentlicht haben wir sie nicht. Und heute, wenn wir sie durch Zufall noch wiederfinden, genieren wir uns, sind vielleicht ein bißchen gerührt über die Jugendschwitzigkeit oder begrinsen uns selbst, nachträglich. Lutz Rathenow ist älter als vierzig. Und wird so weiterdichten, immer weiter:

»Heiß liegt der Tag auf meinen Lippen, / am Abend noch, / wenn sich unsere Hände begegnen. Die Tintenfische mühen sich ab, / damit das Meer blau bleibt, so blau.« Prenzlauer Barock. Was will der Tag, der heiße, auf den Lippen, hm? Und wer sagt den Tintenfischen, daß das Meer ja nur wegen der subtilen Anspielung auf Brechts Liedzeile blau bleiben muß — und natürlich, weil »B-lau B-leibt, so B-lau« in die Hitliste unsterblicher Aliterationen aufgenommen werden wird.

»Was ist dein Gerede / gegen die Selbstverständlichkeit des / Windes, / der den Haufen zusammengekehrter Blätter« — halt! Einspruch, Euer Unehren! Erst wollen wir wissen, warum wir das »Gerede« mit der Selbstverständlichkeit des / Windes« vergleichen sollen — denn wenn schon keine einzige Metapher stimmig und originell ist, wenn schon jedes Gefühl für Rhythmus, Wortklang, Zeilenfall, Gedankenklarheit fehlt: dann werden wir doch zumindest einen minimalen Gebrauchswert dieses spätpubertären Gestammels erbitten dürfen?!

Was red' ich? Was tu' ich hier? Es gibt genügend wunderbare Poeten deutscher Sprache, bei denen auch noch ein etwas älterer Herr mit Dichtedrang in die Schule gehen kann. Speziell ganz fabelhafte DDR-Lyriker fallen mir da ein. Ich sag' die Namen aber nicht.

Denn ich wünsche mir nur eines von Lutz Rathenow: Lassen Sie, sonst einigermaßen geschätzter Herr Rathenow, sofort das Dichterieren sein und ergreifen Sie, wenn möglich, einen nützlichen Beruf! Und noch was zum Schluß: Zeilen wie »Ich sitze und sehe. / Und höre den Lärm / einer vergessenen Flocke« könnten eines nicht allzufernen Tages strafbar sein! Grußlos, Ihr Klaus Nothnagel

Lutz Rathenow, Zärtlich kreist die Faust. Gedichte. Pfaffenweiler Presse, Mittlere Straße 23, D-7801 Pfaffenweiler.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen