Stasi-Männer loben Kirchenmann Stolpe

Die Führungsoffiziere des IM „Sekretär“ entlasten in Potsdam den Ministerpräsidenten Manfred Stolpe: Die Kategorie IM sei nur fiktiv gewesen/ Freundschaftliches Verhältnis zur Kirchenleitung  ■ Aus Potsdam Wolfgang Gast

Manfred Stolpe, ein von der Stasi geleimter Kirchenmann? Nein, dieser Aussage des Brandenburger Ministerpräsidenten wollen die Führungsoffiziere des Inoffiziellen Mitarbeiters „Sekretär“ in der vierten öffentlichen Sitzung des Potsdamer Untersuchungsausschusses nicht folgen. Diese Einschätzung „teile ich nicht“, erklärt am späten Dienstag abend sichtlich erregt der frühere Stellvertreter der Stasi-Abteilung XX/4, Klaus Roßberg. Zusammen mit seinem Vorgesetzten Joachim Wiegand war er über mehrere Jahrzehnte für die „Sicherung“ der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der DDR zuständig. Ex-Oberstleutnant Wiegand hatte wenige Stunden zuvor auf die gleiche Frage geantwortet, es werde so vieles in Interviews geschrieben. Ob der Kirchenmann Stolpe dies tatsächlich gesagt haben könnte, „das weiß ich nicht“.

Manfred Stolpe kann sich bei seinen früheren Gesprächspartnern kaum beschweren. „Wir respektierten einander“, urteilt Wiegand über den seit 1969 ununterbrochenen Kontakt zum Kirchenmann. Beide, Roßberg und Wiegand, geben auch an, von den Kontakten persönlich profitiert zu haben. Roßberg: „Ich habe es meinem Gesprächspartner zu verdanken, daß bei mir kein Feindbild Kirche entstanden ist.“ Zweieinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch des Repressionsapparates eine befremdliche Aussage. Wiegand unterstreicht, „daß die vielen Kontakte bei mir zu Wissen und Sachverstand geführt haben“. Der langjährige Umgang mit Kirchenleuten habe „mir viel gegeben: Toleranz, Einfühlungsvermögen und Sachverstand“.

In der für den Ausschuß wohl wichtigsten Frage, ob der IM „Sekretär“ — wie von der Gauck-Behörde behauptet — wissen- und willentlich ein Mitarbeiter der Stasi war, wird der Ministerpräsident entlastet. Stolpe sei von ihnen zwar als Inoffizieller Mitarbeiter „Sekretär“ geführt und in den Akten auch so erfaßt worden — allerdings ohne sein Wissen. „Wenn man der Meinung ist, daß Informationen fließen, wird ein IM-Vorgang angelegt.“ Wiegand verfällt unversehens in die Gegenwartsform, als er dem Ausschuß über die Arbeit seiner Abteilung berichtet. Der Diplomjurist (Jahrgang 1932) beruft sich auf eine Ausnahmeregelung, die es ihnen anheimgestellt habe, auf Grundlage einer Absprache mit dem Hauptabteilungsleiter, wen auch immer sie wollten, intern als „IM“ zu registrieren. Bei „fast allen“ leitenden kirchlichen Mitarbeitern sei so verfahren worden. „Fiktive IM“ sollen zehn Prozent der zuletzt 110 IM gewesen sein.

Der 1937 geborene Roßberg hat für die Abweichung von den sonst geltenden Richtlinien bei der Arbeit mit der „Hauptwaffe IM“ (Mielke) eine andere Erklärung, die „Untauglichkeit“ der Werbungs- und Verpflichtungsregeln für die Kirchenabteilung. Weil die Richtlinien „für unsere Abteilung mehrheitlich nicht anwendbar waren“, habe man „grundsätzliche Abweichungen nach oben kaschiert, um Maßregelungen aus dem Wege zu gehen“. Den Sinn dieser Maßnahme erklärt Roßberg mit dem wachsenden Leistungsdruck, dem seine Abteilung ausgesetzt war. Ein Argument, mit dem er auch die Aussagekraft der Stasi-Akten in Zweifel zieht.

Redliche Mühe geben sich die Ex- Geheimdienstler, die von ihnen verfertigten Unterlagen, immerhin noch mehrere hundert Seiten, die der von Wiegand im Dezember 1989 verfügten Aktenvernichtung entgingen, zu entwerten. „Treffberichte“, erklärt Ex-Offizier Roßberg, hätten „innerbetrieblich den Charakter einer Hausmitteilung“ gehabt. In diese seien auch Informationen eingeflossen, die nicht auf der angegebenen Quelle „Sekretär“ beruhen mußten. Richtige „Aufträge“, wie sie in den Akten aufgeführt werden, hat es auch nach den Worten Wiegands nicht gegeben. Allenfalls „Wünsche“ oder „staatliche Erwartungshaltungen“, die dem Gesprächspartner deutlich übermittelt wurden. Wo aus den Akten hervorgeht, daß kirchliche Veranstaltungen unter anderem über den IM „Sekretär“ „direkt zu steuern“ seien, will Roßberg dies als eine Vereinbarung „übersetzt“ wissen, „hin und wieder anrufen zu dürfen“, wenn es notwendig sein sollte. Die konspirative Wohnung, in der sich Stolpe mit seinen MfS- Gesprächspartnern traf, wird so zu einem „schlicht und einfach mein Büro“ — „Aufträge“ an den IM „Sekretär“ mutieren zu Appellen, die Stolpe mit einem „vielleicht kümmere ich mich darum“ kommentiert hätte. Roßberg und Wiegand räumen ein, sich vor ihrem Auftritt vor dem Ausschuß mit zwei anderen früheren MfS-Kollegen getroffen zu haben. Was dabei genau besprochen wurde, fragt aber keines der Ausschußmitglieder.

Das Verhältnis der Kirchenleitung zu den Organen des Staates kann nach den Aussagen der beiden Offiziere nur freundschaftlich gewesen sein. Folgt man Wiegand und Roßberg, wurde lediglich der „politische Mißbrauch“ der Kirchen bekämpft. Das staatliche Bemühen wäre stets von dem Versuch getragen worden, „Normalität im Umgang miteinander“ zu erreichen und Konfrontationen zu vermeiden — das MfS nur als mittelnde Instanz eingeschaltet. Sinnfälliges Beispiel: In Leipzig verbot die örtliche Parteiorganisation eine Baumpflanzaktion kirchlicher Gruppen. Auf Stolpes Beschwerde hin will Wiegand in Leipzig nachgefragt und die Antwort „das macht bei uns die Nationale Front“ erhalten haben. Wiegand: „Habt ihr denn Bäume?“ Antwort: „Nein“. Wiegand: „Dann macht das doch zusammen.“ Antwort: „Prima Idee“.