Ist Schuld nach 50 Jahren noch zu sühnen?

■ Im Schwammberger-Prozeß plädieren die Pflichtverteidiger

Stuttgart (ap) — Im Stuttgarter Prozeß gegen den mutmaßlichen NS- Verbrecher Josef Schwammberger haben die beiden Pflichtverteidiger des achtzigjährigen Angeklagten am Mittwoch mit ihren Plädoyers begonnen. Rechtsanwalt Dieter König betonte, die seit mehr als zehn Monaten laufende Hauptverhandlung sei kein Schauprozeß gewesen, „sondern ein Verfahren, so fair wie es nur sein konnte“. Rechtsanwalt König trat damit den Äußerungen von Schwammbergers Wahlverteidiger Manfred Blessinger entgegen, der in der vergangenen Woche in seinem Schlußplädoyer von einem politischen Schauprozeß gesprochen hatte, der die Grundsätze der Fairneß verletzt habe.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine lebenslange Haftstrafe für den früheren SS-Oberscharführer beantragt. Sie sieht es als erwiesen an, daß Schwammberger in der Zeit von 1942 bis 1944 als Kommandant des Zwangsarbeiterlagers Rozwadow und des Ghettos Przemysl im besetzten Polen mindestens 34 jüdische Lagerinsassen eigenhändig ermordet und Beihilfe zum Mord an mindestens 275 Menschen geleistet hat.

König äußerte Zweifel an der praktischen Durchführbarkeit eines Verfahrens wie des Schwammberger-Prozesses. Einmal sei es problematisch, eine Schuld, wie sie der Angeklagte auf sich geladen habe, nach mehr als 50 Jahren sühnen zu wollen. Zum anderen sei der Schwammberger-Prozeß für die Verehrer der alten Zeit ein willkommener Anlaß gewesen, im Gerichtssaal aufzutreten.

Die Wahrheitsfindung sei nach so langer Zeit außerordentlich schwierig geworden. Die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen sei dabei ein zentrales Problem. Selbsterlebtes vermische sich mit dem, was man nur gehört oder gelesen habe. Von manchen Überlebenden des Holocaust sei Schwammberger zum allmächtigen Übertäter stilisiert worden, der für den Nationalsozialismus stehe, weil er als einziger Täter noch greifbar sei.

Das Plädoyer soll am Freitag abgeschlossen werden. Mit einem Urteil wird Mitte nächster Woche gerechnet.