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Wie eine Trapezkünstlerin ...

■ Betr.: "Vorgefertigte Siegesmeldungen", taz vom 27.4.92

Betr.: „Vorgefertigte Siegesmeldungen“, taz vom 27.4. 1992

[...] Ihre Zeitung bringt schon am Morgen ein herzhaftes Lächeln auf mein Gesicht, denn Ihre Beobachtungen, die Sie zu Papier bringen, sind umwerfend. Ich denke nur, daß Sie Ihr Produkt unfertig gelassen haben. Sie haben vergessen oder haben es für unnötig befunden, zu erwähnen, welche Farbe der Schuhe, die Herr Stolpe trägt, seinem durch sein Lächeln zum Ausdruck gebrachten Selbstsicherheitsgefühl noch eine gewisse Unterstreichung verleiht. Ich denke, daß man dies neben dem Anzug und der erwähnten Krawatte auf keinen Fall in Vergessenheit geraten lassen sollte. Sollten Sie es für unnötig gehalten haben, dann haben Sie das Bedürfnis nach einem vollen Informationsgehalt der Leser Ihrer Zeitung leider unterschätzt. Dies bitte ich in Zukunft zu berücksichtigen. Nur wer alles bedenkt, hat die Gewähr, daß das, was er beabsichtigt, auch in seinem Interesse seinen Lauf nehmen wird.

Darum bitte ich doch die Vertreter, die in Zukunft vor der Öffentlichkeit für das Neue Forum sprechen, sich genau zu überlegen, ob es ein einfacher, nicht blau seiender Anzug tut, oder etwa ein, welch farbener auch immer, Pullover. Kein Mensch ahnt bei solcher Garderobe, welcher Intelligenzquotient hinter all dem verborgen ist, das dann doch mit soviel Vehemenz verbalisiert wird. Und das wäre doch schade. Alle würden annehmen, die Wirksamkeit der Rhetorik wäre von vornherein durch die so wenig überlegte äußere Erscheinung schon gemindert. Und das könnte ja sein, daß es Menschen gibt, die von der äußeren Erscheinung her Schlüsse ziehen auf das hin, was da gesagt wird. Die Folgen wären nicht auszudenken. Also untertreiben Sie nicht. Haben Sie den Mut, die Hochkarätigkeit der Aussagen des Neuen Forums durch ein Auftreten in Wort und Habitus zu unterstreichen. Wollen Sie aber relativieren, nur andeuten, bescheiden nachfragen, nehmen Sie sich in Körpersprache und Kleidung zurück. Bauen Sie den visuellen Typen eine goldene Brücke, damit sie besser verstehen können, was auditiv geschieht. [...]

Ich danke Ihnen für Ihren herzerfrischenden Artikel, der mich bereits am Morgen herausfordert, aus Verfremdungen und sehr einseitig Partei nehmend Dargestelltem herauszufinden, wie es wirklich war. Die von Bärbel Bohley, Herrn Stolpe und Herrn Schult selbst gehörten Sätze noch hinzunehmend, komme ich mir vor wie eine Trapezkünstlerin, die weiß, wo das Seil hängt, aber doch die Hoffnung nicht verlieren darf, daß dieses Seil das richtige ist, stabil ist und hält. [...] Sabine Schuke, Klettwitz

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