Sex-Szenen oder Rodeo?

Böses bisexuelles Mädchen eröffnet Festival in Cannes  ■ Aus Cannes Marcia Pally

Einen Monat vor dem Filmfestival von Cannes erreichte die USA die Nachricht, das Festival werde mit Basic Instinct eröffnet, mit der vollständigen, ungekürzten Fassung. Da ich die US-Version gesehen hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum irgendjemand mehr von diesem Film sehen wollte.

Die Geschichte eines jungenhaften Polizisten (Michael Douglas), der sich mit einem schlechten Mädchen einläßt (Sharon Stone) ist nicht neu. Das Besondere an diesem Film ist die Bisexualität des Mädchens, und das Interessanteste waren die Proteste der Frauen- und Lesbengruppen. Das schlimmste am Film war der Film.

Um fair zu sein: Basic Instinct kann sich einer tollen Szene rühmen, wo Stone verhaftet wird und die Jungens in blau völlig fertigmacht, indem sie ihnen zeigt, wie wenig Unterwäsche sie trägt. Regisseur Paul Verhoeven spielt die Szene breit aus und übertreibt die sabbernde Gier der Bullen mit Kameraeinstellungen von unten nach oben. Die Frauen im Publikum waren hochzufrieden.

Der Rest von Basic Instinct ist ein erotischer Möchtegern-Thriller, das Tempo schwerfällig, der Ton betäubend. Und die Figuren sind so wenig glaubwürdig, daß mir das Zählen fauler Stellen im Drehbuch von Joe Eszterhas spannender erschien als das Drehbuch selbst. Die Sex-Szenen, die Douglas als „Jahrhundert-Fick“ bezeichnete, gehören in ein Rodeo.

Basic Instinct ist eine klassische Fantasie über weibliche Macht: Frauen machen Männer hörig. Die protestierenden Feministinnen wandten sich gegen diese Sichtweise, da sie männlicher Gewalt gegen Frauen Vorschub leiste. Ich glaube, daß jeder ein Recht auf seine Fantasien hat, auch Männer mit mangelndem Selbstbewußtsein — aber öffentliche Fantasien haben doch immerhin Verpflichtungen gegenüber dem Handwerk, wenn schon nicht der Kunst. Die Hauptsünde von Basic Instinct ist die dröhnende Eindeutigkeit.

Die Lesben protestierten dagegen, daß sie in Basic Instinct schon wieder eine „killende Lesbe“ vorgesetzt bekommen — von einer Industrie, die Lesben schon immer nur als Sünderinnen oder Psychopathinnen zu zeichnen vermochte. Aber sie argumentierten so differenziert, wie ich es in den USA bisher kaum erlebt habe. Für die Gay- und Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD), die wichtigsten Medienbeobachter für die schwule Gemeinschaft, moderierte ich eine Diskussion über den Film. Die Frauen wandten sich gegen das negative Bild der Lesbe; die Vorstellung sexuell unabhängiger, starker Frauen empfanden sie jedoch erfrischend.

Besonders gefiel ihnen die Szene, in der Stone knapp erklärt, sie hätte sich mit einem Mann nur zum Sex getroffen. Ich sprach über die verschiedenen Schichten in allen Kulturprodukten. In diesem Falle lautet die offene Botschaft, sexuell aktive Frauen seien böse; darunter liegt die subversive Botschaft, sie seien das Beste auf der Leinwand. Auch das hat im Kino Tradition, klassisch in Vom Winde verweht: Melanie ist das brave Mädchen — aber ich habe nie jemanden getroffen, die nicht lieber Scarlett sein wollte.

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning.