: Ein Frühstück, ein Anruf und ein Zettelchen
Tarifpoker in Stuttgarter Höhenluft/ ÖTV-Chefin Monika Wulf-Mathies locker und siegesbewußt/ Öffentliche Arbeitgeber eher steif/ Der Zettel für Seiters hat's nichts gebracht/ Dann aber Fortschritte beim gemeinsamen Arbeitsfrühstück? ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
In Stuttgarts Innenstadt bordet der Müll über die vorgesehenen Behältnisse, selbst Junkies und Kleindealer in der Tiefpassage unter dem Stuttgarter Rotebühlplatz haben ihren, vom Mac-Donalds-Unrat ungastlich gewordenen Treffpunkt allmählich verlassen. Der Stadtkessel der Metropole im Land der Kehrwoche beginnt unangenehm zu duften. Streik und seine Folgen!
Doch zum Glück gibt's auch ein Stuttgart auf den Hügeln. Droben in Degerloch, beim Fernsehturm etwa, weht ein laues Frühlingslüftchen, man geht hemdsärmelig, sitzt in der Sonne. Auch im eleganten Waldheim der Technischen Werke der Stadt Stuttgart, dem Energieversorger der Region. Dort hatten sich bereits am Mittwoch abend die Verhandlungsdelegationen der Tarifkontrahenten aus ÖTV und öffentlichen Arbeitgebern eingefunden. Einigung ist angesagt und von Arbeitgeberseite auch signalisiert. Gut 15 Fernsehteams und zahllose Zeitungsjournalisten belagern den Verhandlungsraum auf der Jagd nach News. „Very funny“, freut sich der Reporter der englischen ITN, „ganz wie früher in Großbritannien.“
Derweil steht den Tarifkontrahenten die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Monika Wulf-Mathies hat sich zu einem kleinen Spaziergang im Garten des TWS-Heims aufgemacht. Entspannt wie selten, gestärkt durch die Unterstützung der vergangenen Streiktage und siegessicher plaudert sie mit ein paar Journalisten. Womit Innenminister Rudolf Seiters, ihr Verhandlungsgegner, gerade seine Mitstreiterin auf der Arbeitgeberseite, die schleswig- holsteinische Finanzministerin Heide Simonis, beeindrucken will, ist durch die Panoramascheibe des Verhandlungsraums nicht zu verstehen. Es geht auf Mitternacht, und plötzlich kommt doch noch Bewegung in die verstockte Runde.
Zwei Beamte des Bundesgrenzschutzes flüstern dem hemdsärmeligen Innenminister etwas ins Ohr. Der springt auf, schlüpft in sein Jackett und eilt nach draußen zum Funkwagen der Polizei. „Hannelore liest ihm die Leviten“, lästert die wartende Journalistenrunde, und „Rapport beim Bundeskanzler.“
Ob er jetzt schlauer sei, wollen ein paar Neugierige wissen, als der Innenminister den Funkwagen wieder verläßt. Doch der dreht nur nervös ein Zettelchen zwischen den Fingern. Die Direktive? Und dann sitzt man sich wieder gegenüber. Monika Wulf-Mathies und ihr Kollege Willi Hauss locker zurückgelehnt auf der einen, ihre Gegenspieler, Bund, Länder und Kommunen, reichlich steif auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Wieder nestelt Innenminister Seiters sein Zettelchen aus der Tasche. Die Panoramascheibe des Verhandlungszimmers wird für Minuten zur Breitleinwand eines Stummfilmpokers. Souverän, lächelnd und mit der Geste derer, die schon jetzt gewonnen haben, weist die ÖTV-Chefin das Zettelchen zurück. Ein neues Arbeitgeberangebot, heißt es Augenblicke später, habe es leider nicht gegeben. Die Sondierungsgespräche würden aber fortgesetzt. Sonst nichts? Sonst nichts! Am nächsten Morgen, längst haben sich die Journalisten wieder in Degerloch eingefunden, verkündet Bundesinnenminister Seiters zu allseitigem Erstaunen, man habe Fortschritte erzielt unter vier Augen und bei einem ausgiebigen gemeinsamen Frühstück. Die ÖTV-Chefin will das weder bestätigen noch dementieren. Im TWS-Heim ist der Müll der vergangenen Nacht weggeräumt, wie sich's gehört im Höhenstadtteil Degerloch.
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