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Nicht nur um ihres Fleisches willen

■ Sie war eine große Berlinerin mit amerikanischem Paß, Kosmopolitin und Antifaschistin. Modern, androgyn und unnahbar verkörperte sie als Schauspielerin und Sängerin die Femme fatale.

Nicht nur um ihres Fleisches willen Sie war eine große Berlinerin mit amerikanischem Paß, Kosmopolitin und Antifaschistin. Modern, androgyn und unnahbar verkörperte sie als Schauspielerin und Sängerin die Femme fatale.

Ein eigentümlicher Todesfall, denn Marlene Dietrich ist längst unsterblich. Sie ist einer der großen Mythen, die das Kino hervorgebracht hat. Auch wenn sie selbst es immer weit von sich wies, etwas mit der unnahbaren Marlene in den Sphären der Imagination gemein zu haben. Kaum etwas von all dem, was über sie geschrieben wurde, fand in ihren Augen Gnade. Die Charakterisierung von Kenneth Tynan „She has sex, but no particular gender“, sie habe Sex, aber kein spezielles Geschlecht, fand sie die noch intelligenteste. Zeit ihres Lebens wehrte sie sich mit trotzigem Understatement und Berliner Schnoddrigkeit gegen die Verwechselung ihres übermächtigen Bildes mit der am 27. Dezember 1901 in Berlin geborenen Maria Magdalena von Losch.

Schauspielerin hatte die Tochter eines preußischen Polizeioffiziers nie werden wollen. Sie studierte Musik, doch mußte sie die Violine aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Nach dem Besuch des Max- Reinhardt-Seminars hatte sie ihre Laufbahn in den Berliner Theatern begonnen, als Partnerin von Hans Albers und Fritz Kortner. Sie übernahm etliche kleine und größere Stummfilm-Rollen, doch die Regisseure wußten nichts Rechtes mit ihr anzufangen, stilisierten sie mal als pummeliges Dienstmädchen, dann als fidele Kokotte. Gleichwohl fiel sie auf. Alfred Kerr, der Doyen unter den Berliner Kritikern, schätzte sie 1924 „um ihres Fleisches willen“.

Es war Josef von Sternberg, der Marlene Dietrich schließlich zur Ikone machte und sie im Blauen Engel zum größten deutschen Weltstar dieses Jahrhunderts formte. Sternberg, ein Meister des artifiziellen Lichtspiels, war auf eine Frau getroffen, die in ihrer Person fast sämtliche Facetten von Weiblichkeit vereinte, sich aber gleichzeitig willig und diszipliniert stilisieren ließ.

Siegfried Kracauer befand, sie verkörpere als Lola „das Geschlecht in neuer Gestalt“. Ihr schlanker Körper, ihre allseits bewunderten Beine spielten dabei nicht die entscheidende Rolle, sondern ihre deutlich spürbare Autonomie gegenüber männlichen Blicken und Projektionen. Und dann war da ihre Stimme. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, sang sie mit dieser immer leicht heiseren Altstimme, von der ihr Freund Ernest Hemingway schrieb: „Selbst wenn sie nichts als ihre Stimme hätte, könnte sie einem damit das Herz brechen. Doch sie hat dazu noch diesen schönen Körper und die zeitlose Schönheit ihres Gesichts.“

Sternberg, mit dem sie sechs ihrer ersten sieben Filme in der Neuen Welt drehte, modellierte sie in Hollywood zur Femme fatale, zum kühlen Vamp, einer undurchschaubaren Figur, zu einer Sphinx. Mit Marocco, Entehrt, Shanghai Express und Blonde Venus wurde sie zur Antipodin der dunklen geheimnisvollen Greta Garbo, der Hollywood damals zu Füßen lag. Marlene Dietrichs vitale Vulgarität der Lola ging dabei im Glamour auf. Aus der drallen Berlinerin wurde eine synthetische Figur, eine Metropolitan Lady, modern, androgyn, hermetisch. Sie war eine Frau des 19. Jahrhunderts, doch zugleich Idol der sich emanzipierenden Frauen zwischen den Weltkriegen.

Je mehr sie zum Mythos Marlene wurde, um so störrischer beharrte sie auf der strikten Trennung zwischen öffentlichem und privatem Leben. Sie selbst habe nichts mit ihren Rollen zu tun, erklärte sie immer wieder. Der kühle Vamp war sie nicht. Ihr größtes Glück waren ihre Tochter und ihre Familie, sie führte ein zurückgezogenes häusliches Leben. Und sie war eine Preußin, im besten Sinne. Sie folgte der von ihr gern zitierten Devise: „Logik macht das Leben leichter.“ „Bei der Arbeit war sie wie ein Soldat“, beschrieb sie Billy Wilder, mit dem sie unter anderem A Foreign Affair drehte. „Hervorragend diszipliniert und hilfsbereit allen gegenüber.“

Ein politischer Mensch hat Marlene Dietrich nie sein wollen, doch die deutsche Diktatur zwang sie dazu, Position zu beziehen. Sie tat es mit einer bewundernswerten Klarheit und Konsequenz. Zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebte und arbeitete sie bereits in Kalifornien. Doch Hitler, Goebbels und Göring wollten die bekannteste deutsche Schauspielerin unbedingt heim ins Reich holen. Sie war eine Lieblingsschauspielerin Hitlers, doch sie wies das Angebot eines triumphalen Einzuges durch das Brandenburger Tor kühl und verachtend zurück. „Aus Anstandsgefühl“, sagte sie, sei sie zur glühenden Antifaschistin geworden. „Verfolgung unschuldiger Menschen war, ist und bleibt eine verhaßte Tat. Für die Dimension des Faschismus gibt es keine Worte.“ Zusammen mit Ernst Lubitsch unterstützte sie Fluchthelfer, die NS-Verfolgte über die Schweiz in die USA schleusten.

Ihr Antifaschismus war es auch, der sie nach langer und harter Filmarbeit wieder auf die Bühne führte, zunächst in sehr ungewöhnlicher und unwirtlicher Umgebung. Begleitet vom Donner der Artillerie, sang und tanzte sie an der Front für Soldaten der US Army. Später erinnerte sie sich an die Filzläuse und an die kalten Pfoten der Ratten, die ihr über das Gesicht huschten, wenn sie in einem provisorischen Quartier in ihrem Schlafsack lag. 1945 marschierte sie mit den siegreichen amerikanischen Truppen und im Rang eines Hauptmanns der US Army in ihre alte Heimat ein. Sie hatte bereits 1937 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen. Ihr Verhältnis zu den Deutschen war und blieb bis zuletzt ein schwieriges. Als sie im November 1945 zur Beerdigung ihrer Mutter nach Berlin kam, sagte sie: „Ich fühlte, daß ich nicht nur meine Mutter zu Gabe getragen hatte, sondern daß es das Deutschland, das ich liebte, nicht mehr gibt.“ Erst der Fall der Mauer scheint ihr ihre Heimatstadt wieder so nahe gebracht zu haben, daß sie in Berlin begraben werden wollte — und wohl auch werden wird.

Am 15. Dezember 1953 trat sie als „white empress of entertainment“ in Las Vegas auf die Bühne. Sie kehrte den Filmstudios den Rücken und begann eine zweite Karriere als Diseuse. Rastlos reiste sie durch die Welt, gastierte mit Burt Bacharach, der ihre Songs arrangierte, in Moskau und Sydney, Warschau und London. „Supply and demand“, Angebot und Nachfrage, gab sie lakonisch als Grund für diese neue Karriere an.

Als sie 1960 auch in Deutschland auftrat, wurde sie als Vaterlandsverräterin beschimpft. Die 'Badische Zeitung‘ stänkerte: „Es wäre für Marlene und uns besser, sie bliebe dort, wo sie ist.“ Nationalistische Bundesbürger empfingen sie mit Transparenten wie „Marlene hau ab!“ Als Sängerin wahrte sie große Distanz zu ihrem Publikum. Sie wurde kein Star zum Anfassen, der sich beim Publikum anbiedert, war vielmehr ganz Stil; ein nahezu übermenschliches, perfektes und kühles Faszinosum.

Ende der siebziger Jahre zog sie sich in ihre Pariser Wohnung zurück. Sie las pausenlos. „Rainer Maria Rilke — allein und für immer“, aber auch Grass, Handke oder Camus. Eine einsame in Deutschland geborene Kosmopolitin mit amerikanischem Paß war sie geworden und ließ nur noch ihre Tochter und enge Freunde an sich heran.

Maximilian Schell fragte sie 1982, ob sie Angst vor dem Tode habe. „Nee“, antwortete Marlene Dietrich. „Man sollte Angst haben vor dem Leben, aber nicht vor dem Tod. Da weiß man doch nichts mehr. Ist doch aus.“ Ob sie nicht an ein Leben nach dem Tode glaube? „Aber so ein Quatsch. Da kann man doch nicht dran glauben, daß sie da oben alle rumfliegen. ... Außerdem glaube ich nicht an eine höhere Macht, oder die höhere Macht ist meschugge.“ Michael Sontheimer

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