: Carlos Springinsfeld
■ »Don Carlos« in der Studiobühne an der FU
Sie reden, reden, reden. Reden sich um Kopf und Kragen und um den letzten Funken Interesse. Um Freiheit gehts, um Anerkennung, auch um Liebe. Don Carlos heißt das Stück, das die Gefühle explodieren läßt und nach Rebellion ungeheuer stürmt und drängt. Die FU-Studiobühne, die immer wieder mal einem studentischen Newcomer Gelegenheit zur Regieprobe gibt, schafft mit ihrer neusten Produktion den Sprung in die Hitliste sicher nicht. Leider.
Es ist ein erschreckend steifes, uninspiriertes Spiel, das sich spröde in Szene setzt und schweißtreibend ums heilige, totgepflegte Wort bemüht (während den Zuschauern in dem schlecht klimatisierten Theater im eignen Schweiß alle Abwehrkräfte schwinden). Die Darsteller sind schlechte Marionetten; die vielen »Achs«, »Dochs«, »So ist's« fliegen halsstarrig durch den Raum, und die Posen verweilen, als wär's ein Opernarrangement. Die Bühne präsentiert einen monumentalen, aus Metropolis geklauten Thron, auf dem ein König Philipp residiert — allein sein großer, steifer Mantel gibt ihm Halt und Würde. Don Carlos, der Infant, ist ein süßer Springinsfeld, der, wenn er zweimal gesprungen ist, ganz stille steht und sich im rosa Teilchen recht naiv und lächerlich gebärdet. Posa dagegen belächelt sein Hoffnungsträgerdasein ständig selber. Allein die Damen, eine monumentale Eboli, eine feingliedrige Elisabeth, beglaubigen das Spiel im Rederausch ein wenig, doch auch bei ihnen ist jeder Ausbruch des Gefühls gefährlich komisch.
Erstaunlich, daß ein Stück, das derart heftig eine Ortsbestimung des eignen Tun und Handelns herausfordert, so flau geraten kann. »Idealisten sind immer in der Gefahr/ an ihrem Idealismus zugrunde zu gehen«, rief uns Schiller zu, und unfreiwillig selbstironisch prangt der Spruch auf dem Programm der Theaterwissenschaftsstudenten. Der Verzicht auf das Provozierende wird zitierfreudig auf der letzten Seite mit H.M. Enzensberger legitimiert: »Der ewige Bruch mit den Sehgewohnheiten ist zur lieben Gewohnheit geworden, die intellektuelle Subversion zur Routine, der Tabu-Bruch zur Unterhaltung.«
Das rechte Wort zu kennen nimmt der Praxis selten die Gefahr und gibt ihr selten Halt. Gedankenfreiheit gab es hier offensichtlich im Übermaß; daß das allein nicht genügen kann, wurde mit Schiller (doch sicher nicht in seinem Sinne) hinreichend unter Beweis gestellt. baal
Bis 24.5. do.-so., 20.30 Uhr im Theaterforum Kreuzberg
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