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EISEN LIGHT

Die Branche sucht nach einer neuen,

noch undefinierten Produktfacette

VONMATTHIASGILBRICH

Nachdem Light-Produkte in fast der gesamten Konsumgüterindustrie bereits einen gewissen Marktanteil erobern konnten und sogar die Medizin inzwischen davor nicht haltmacht (Sperma light — macht schwanger, aber nicht dick), kann die Tourismusbranche nicht umhin, sich dieser Marktnische und damit zukünftiger Marktchancen anzunehmen.

Bisher sind die Produkte noch als „Erlkönige“ getarnt; schafft man es aber, hinter die Tarnung zu schauen, findet man schon konkrete Ansätze.

In der Bierbranche hatten viele bedeutende und unbedeutende Anbieter genießbarer und ungenießbarer Biere schon lange ein reduziertes Produkt — kalorien- oder alkoholreduziert — entwickelt. Sie warteten aber ab, bis einer den Mut hatte (oder den richtigen Marketingberater), sich die Markteinführungskosten ans Bein zu binden und damit zunächst Marktführer zu sein.

In der Tourismusbranche wissen vielleicht die Anbieter noch gar nicht, daß sie über Light-Produkte in ihrem Angebot verfügen. Beispiel dafür ist die Konstruktion des Center Parcs: sieht aus wie ein normales touristisches Produkt, funktioniert wie ein normales touristisches Produkt, ist genauso zu kaufen und kostet ein bißchen mehr. Wahrscheinlich ist auch weniger drin, zumindest ist aber alles, was der Mensch braucht, künstlich hergestellt.

Eine Stufe weiter sind wir bei den Ferienclubs bzw. dem Cluburlaub. Dort wird uns Reisen wirklich light gemacht. Wir müssen uns um die Freizeitgestaltung nicht mehr selber kümmern, auf Wunsch wird alles vorgekaut. Der geschlossene Club erspart uns die Peinlichkeit, die Gastfreundschaft eines Landes erwidern oder vielleicht in einem Restaurant in der Landessprache etwas bestellen zu müssen. Es wird Kontakt zu anderen Menschen hergestellt, allerdings nur zu den anderen Clubgästen, nicht zur einheimischen Bevölkerung. Die abendliche Bauchtanzvorführung übernimmt die Animateurin mit Volkshochschulkurs-Diplom im Bauchtanz.

Aber wir können noch weiter schauen. In den letzten Monaten tauchte immer wieder der Begriff und die Handhabung von Cyberspace in der touristischen Diskussion auf. Künstliche Reisen per Brille, Handschuh und Raumanzug in eine simulierte Welt, die wir selber gestalten können. Sextourismus vor dem Bildschirm als unsere Zukunft?

Vor zwanzig Jahren haben wir über die Pillennahrung im Raumschiff Enterprise gelacht. Wann wird uns der Cyberspace-Handschuh im Halse steckenbleiben?

Doch damit nicht genug. Kluge Fachleute diskutieren seit einiger Zeit auch öffentlich den Begriff des Visitors-Management. Wenn zu viele Leute ein und dieselbe Sehenswürdigkeit besuchen wollen, muß man eben Duplikate schaffen, woran sich die Leute ergötzen können. Welcher Japaner kann schon die Kopie des Kölner Doms vom Original der Berliner Gedächtniskirche unterscheiden?

„Europe in 10 days“ — sind uns die Amerikaner schon wieder eine Nasenlänge voraus?

„Europe in 4 days“ — oder diesmal die Japaner?

Bei der Anwendung von Kreativitätstechniken in der Industrie zur Entwicklung von neuen Produkten gibt es eine Technik, die hauptsächlich darauf baut, Analogien zu bereits vorhandenen Produkten oder Problemlösungen zu bilden. Was könnten wir für die Tourismusbranche damit anfangen?

Betrachten wir das Beispiel Zigaretten: Hier ginge es um die Reduktion der Schädlichkeit, d.h. der Belastung. Wäre eine Reise light nun weniger schädlich als eine richtige? Bei den Zigaretten bleibt es wohl umstritten, denn eine Zigarette an sich ist ja schon nicht so gesund, was man vom Reisen nicht unbedingt behaupten kann, wenn man mal vom Energieverbrauch und der damit verbundenen Umweltbelastung absieht. Immerhin gibt es einige Propheten, die sich dafür aussprechen, die Touristen in Ghettos zu kanalisieren. Dort richten sie nicht soviel Schaden an wie in der freien Wildbahn. Das entspräche dann den „Raucherecken“. Immerhin können wir bei dieser Analogie auch die Passivraucher/ Passivreisenden mit einbeziehen, die Bereisten, die unter der Qualmerei/ Fahrerei leiden müssen, aber auch die Verwandten, die sich Hunderte von Urlaubsdias anschauen müssen. Raucher fordern Steuererhebungen bei den Passivrauchern, da diese umsonst mitrauchen. In der Reisebranche gibt es dies bereits. Mit Dia-Vorträgen kan man heutzutage schon einiges Geld verdienen.

Analogien zur Produktneugestaltung

Als zweites Beispiel nehmen wir den Kaffee: Was ist beim Kaffee denn eigentlich reduziert? Doch wohl das Koffein, die Wirkung. Ein Kaffee ohne Wirkung müßte sich eigentlich schwer verkaufen lassen, scheint aber doch ganz gut zu gehen. Läßt sich nicht auch eine Reise ohne Wirkung (Erholung) verkaufen?

Wir müssen die Wirkung einfach umdefinieren. Nicht die Erholung soll die Wirkung sein, sondern das Erlebnis. Stau als positives Urlaubserlebnis. Kaffee ist ja nicht Wachmacher, sondern Genuß, Gewissensberuhiger und Familienfriedenhersteller an Feiertagen.

Das Beispiel Bier ist auch nicht ganz unkompliziert. Hier kann man beides reduzieren, den Alkohol als Wirkung und die Kalorien als Belastung. Oder beides ein bißchen und nichts richtig. Wie sagt schon der Volksmund: „Halb besoffen ist rausgeschmissenes Geld.“ Scheinbar muß das Geld doch irgendwo auf der Straße liegen, oder weiß einer, wohin es die ganzen Lightbiertrinker werfen.

Die Analogie zum Reisen fällt schwer. Bleibt man zu Hause, ist die Belastung reduziert, aber nicht die Wirkung. Man fährt nicht weg, richtet also keinen Schaden an, erholt sich vielleicht besser als mit all den anderen Touristen unterwegs.

Und will man es umdrehen, die Belastung reduzieren und peinlich darauf achten, auf seinen Reisen nur ja keinem Hälmchen den Hals umzuknicken, kann man sich vor lauter Achtsamkeit wahrscheinlich weder erholen noch entspannen. Der Urlaub ist im Eimer.

Als weitere Analogie zum Urlaub fällt mir spontan nur noch Margarine ein. Dort ist der Schluß einfach zu ziehen. „Zum Braten nicht geeignet“, steht auf der Packung, also keine Garantie, bei Light-Reisen auch richtig braun zu werden.

Warum hat noch niemand den Prospekt light erfunden oder zumindest so benannt? Urlaubsfilme light und Urlaubsdias light, Lichtstärke reduziert, damit man besser schlummern kann! Urlaubsgrüße light, die ganze Quälerei des Kartenschreibens wird beendet. Sie geben bei Ihrer Buchung einfach schon Ihr Adressenverzeichnis (besser gleich als Datenbank) an den Reiseveranstalter. Dieser schickt dann automatisch an „Ihre Lieben“ und Kollegen die Urlaubsgrüße, in der gewünschten Sprache und Vertraulichkeit (Diese Postkarte ist maschinell erstellt und auch ohne Unterschrift gültig).

Zwei Light-Reisen anstelle einer Vollwertreise? Eine Reise ist doch kein Joghurt. Und bei doppelter Verpackung muß man ja auch doppelt so oft die Mülltüten raustragen.

Was wirklich auf einer Reise erlebt wird, hat man immer noch nicht so ganz herausgefunden. Einige Wissenschaftler stellen sich auf den Standpunkt, daß die Besucher in modernen Freizeiteinrichtungen lediglich glauben, Spaß zu haben und sich zu erholen. Das Volk ist dumm. In Wirklichkeit konsumieren sie nur und werden ausgenommen.

Finger weg von Light-Reisen

Das subjektive Empfinden der Betroffenen läßt der Wissenschaftler oder besser Sozialtechniker außer acht.

Wann ist der Mensch eher erholt: wenn der Wissenschaftler es mißt (Pulsschlag, Adrenalin etc.) oder wenn der Mensch es selber so empfindet? Gibt es Meßkriterien für Erholung und Zufriedenheit? In der Regel wird dies immer noch hauptsächlich mit Selbsteinschätzungen der Befragten untersucht. Nur eines sollte man beachten: Es besteht die Gefahr, daß die Ersatzstoffe von Light-Produkten doch nicht so ganz und nicht so dauerhaft die Bedürfnisse befriedigen wie vollwertige Produkte. Ist der kleine Hunger nach etwas Richtigem schneller wieder da, als man es sich wünscht, werden die Kunden den Herstellern die Verpackung um die Ohren hauen, mit oder ohne grünen wunden Punkt.

Darum einen kleinen Rat (an dieser Stelle könnte auch stehen „Der Tourismusminister rät“, aber wir haben ja nun mal keinen): Finger weg von Reisen light, denn bei den Risiken und Nebenwirkungen helfen weder Arzt, Apotheker noch die Reisebeilage.

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