: Die Wohnungsrenovierung als Nervenkrieg
Wie guter Rat von Freunden einmal ziemlich teuer wurde/ Über Motivationszulagen und fehlendes Material ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Schon der Anfang war ein strategischer Fehler. Insofern hab' ich gar keinen Grund, mich zu beklagen. Doch ich hörte auf meine russischen Freunde. Schließlich genießen sie „Heimvorteil“. Die neue Wohnung bedurfte dringend einer Generalüberholung. Das letzte Mal lag einige Jahrzehnte zurück, doch die Substanz sei gut, wie die „Akquisiteurin“ der Akademie der Wissenschaften unaufhaltsam repetierte. Ich wollte eine Kooperative, eine private oder halbprivate — genauere Angaben lassen sich darüber noch nicht machen —, mit der Renovierung beauftragen. Aber ich sagte es ja schon. Die russischen Freunde... Noch immer hegen sie Mißtrauen gegenüber diesen Kräften der „Halbwelt“... Zu teuer, auch nicht zuverlässiger... Und überhaupt, wie sollten die an Materialien rankommen?
Im staatlichen Kontor: Der Vertrag wird fixiert auf Grundlage der Quadratmeter. Wir schreiben Ende Februar. Die Tapeten werden ausgesucht. Import - ausgezeichnete Qualität, doch es fehlen fünf Rollen einer Sorte. Was tun? Eine Kollegin aus dem anderen Kontor konnte schließlich aushelfen. Nur: die „kleine Aufmerksamkeit“ überstieg um ein Vielfaches den Materialwert. Egal, schnell sollte es gehen. Zwischendurch ein Besuch im unterirdischen Lager des Kontors bei Valera. Fliesen, Kacheln, Fayencen, japanische Einbauküchen und südkoreanische Armaturen — alles harrt der Käufer. Die Russen hatten also doch recht. Nur staatlich, wenn auch unterirdisch.
Die Maler treffen in der Wohnung ein. Ihr erster Arbeitsakt ist die Verweigerung. „Eine Wohnung in dem Zustand für das Geld!“ Das Kontor hatte sich vor Vertragsschließung die Räumlichkeiten nicht angeschaut. Wir werden schnell einig hinsichtlich einer zusätzlichen Motivationspauschale. Nun kann es endlich losgehen. Es ist Mitte März. Galja und Ljuba sind die Arbeiterinnen der Malerbrigade. Gleich zu Anfang wecken sie mein Erstaunen. Hier spricht die Qualitätsarbeiterin. Zeitungen und Planen zum Abdecken müßten noch herangeschafft werden. Die Routine eines sowjetschen Malers korreliert mit der Menge der Farbkleckse, die er um das Objekt des Bestreichens hinterläßt. Je mehr desto engagierter. Hier habe ich es also mit einem anderen Berufsethos zu tun. Gern kümmere ich mich um das Abdeckmaterial.
Doch Ljuba und Galja tauchten in den nächsten drei Tagen nicht auf. Natürlich, die Vermieter hatten keinen Wagen gefunden, um die Möbel abzutransportieren. Wie soll frau dann vernünftig arbeiten? Ein Kleinkrieg setzt ein. Den Vermietern gelingt der Transport. Aber Galja und Ljuba treffen nicht ein. Ich geh' der Sache auf den Grund. Die Brigade ist nirgends aufzutreiben. Bis mich die Sekretärin im Kontor anschnauzt: Was sollen die denn auch tun? Die haben doch keine Leiter! Und wieso nicht? Um eine Leiter zu transportieren, bedarf es eines Autos, klärt sie mich kreischend auf. Soviel Unverstand. Der Firmenwagen war gerade in einen Unfall verwickelt, der Fahrer des zweiten Wagens verhindert. Seine Großmutter hatte das Zeitliche gesegnet. Mein Vorschlag, vielleicht könne der Unglücksvogel mit dem Wagen des Trauernden die Leiter... Völlig absurd, dieser Gedanke!
Es ist Mitte April. Die Leiter ist eingetroffen. Ljuba und Galja versprechen ihr Bestes. Schließlich erwarte ich Anfang Mai Gäste. Vollstes Verständnis. Jedesmal werde ich wieder weich. Ab morgen endgültig! Wir arbeiten durch. Morgens um sieben mache ich mich auf den Weg. Alles pikobello. Die Brigade trifft um 9 Uhr 30 ein. Vielmehr der eine Teil, der andere macht einen Kontrollanruf um 10 Uhr 15. Was, Sie sind schon da? Ja, alles fertig. Doch Galja hatte an diesem Tag noch etwas anderes vor. Am Abend eröffnete sie mir, vom 1. bis 11. Mai würde das Kontor sowieso nicht arbeiten — Feiertage. Wir vereinbaren einen Feiertagszuschlag. Doch erneut steht der Mangel im Weg. Um die Tapeten zu kleben, fehlt's am Kleister. Um die vorhandene Essenz zu verlängern, ließen sich noch vier Kilo Mehl aus der humanitären Hilfe aus Deutschland abzweigen. Die Tapeten hängen mittlerweile, zwar nicht alle dort, wo sie hinsollten, aber sie hängen. Die Gäste sind auch da. Wir rotieren mit der Matratze in einem Notquartier. Nun warte ich auf den Parkettschleifer, der hat auch keinen Wagen... Guter Rat wird manchmal teuer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen