Tschernobyl und die Folgen

■ Betr.: "Säuglingssterben durch Tschernobyl", taz vom 25.4.92

betr.: „Säuglingssterben durch Tschernobyl“, taz vom 25.4.92

Als wir seinerzeit wagten, die Befunde über die erhöhte Säuglingssterblichkeit in Süddeutschland nach Tschernobyl zu veröffentlichen, fiel das gesamte wissenschaftliche Establishment über uns her, nicht zuletzt auch Herr Dr.Körblein.

Wenn er nun nach einigen Jahren unsere Befunde effektiv bestätigt, so kann man das nur begrüßen, wenn auch zu bemerken ist, daß die Fortschreibung unserer Daten bis 1990 samt Interpretation auch schon vor einiger Zeit von den Münchener WissenschaftlerInnen Lisel und Eckart Krüger veröffentlicht wurden.

Es war mal guter wissenschaftlicher Brauch, wenn man Dinge als zweiter oder dritter veröffentlicht, die früheren AutorInnen zu nennen, aber das ist heute wohl nicht mehr so wichtig.

Zur Sache nun: Das Erschreckende ist, daß der mit Tschernobyl eingetretene Knick im langfristig fallenden Trend der Säuglingssterblichkeit zu einer noch heute anhaltenden faktischen Stagnation geführt hat, mit noch keinem Anzeichen einer Rückkehr zum normalen Trend. Ähnliches hat Whyte in einer Langzeitstudie zu den Auswirkungen der großen Atombombentests der fünfziger Jahre gefunden: Die Sterblichkeit ging erst nach 1975 allmählich auf den vorherigen Trend zurück — damit ist zu befürchten, daß die Folgen von Tschernobyl für die Säuglingssterblichkeit noch bis ins nächste Jahrtausend reichen werden.

Die durch Tierversuche gestützte Erklärung für so langanhaltende Folgen dürfte sein, daß das langlebige Strontium-90 die Bildung von Immunabwehrzellen im Knochenmark der Mütter behindert und sie die Neigung zur Immunschwäche an die Kinder weitergeben, bei denen diese dann in tödlicher Weise zur Auswirkung kommen. Prof. Jens Scheer, Bremen