: Die Fahnder der Terroristen waren selber welche
■ Griechische Polizei und „17. November“ arbeiteten jahrelang Hand in Hand/ Die Gruppe verübte mindestens 40 — teilweise tödliche — Attentate/ Entlassungswelle
Berlin (taz) — Jahrelang konnte der „17. November“ völlig ungestört sein Unwesen in Griechenland treiben: Die Gruppe sprengte Polizei- und Politikerautos in die Luft, raubte Militärkasernen aus, ließ Bomben in diplomatischen Vertretungen platzen, richtete Raketenangriffe auf Büros ausländischer Firmen und ermordete mindestens 18 Menschen, darunter Polizisten, Richter und ausländische — mit Vorliebe US-amerikanische — Diplomaten. Erst spät entschloß sich die griechische Regierung zum „Generalangriff“ auf die vom US-Verteidigungsministerium als „eine der gefährlichsten Terrororganisationen der Welt“ eingestufte Truppe, gründete Anti-Terror-Spezialpolizeieinheiten und setzte eine Rekordsumme von 1,25 Millionen Dollar Belohnung für Fahndungshinweise aus. Doch mysteriöserweise verliefen auch danach sämtliche Polizeiversuche im Sande — kein einziges Mitglied der Gruppe wurde je gefaßt oder auch nur identifiziert. Jetzt scheint sich das Rätsel um den „17. November“ allmählich aufzuklären: Die Gruppe und die Polizei arbeiteten auf das allerbeste zusammen.
Theodorus Anagnostopoulos, Minister für Öffentliche Ordnung und oberster Chef der Polizei in der konservativen Athener Regierung, trat am Freitag mit der hochnotpeinlichen Enthüllung an die Öffentlichkeit. Offenbar verfüge der „17. November“ über „Spione in der Polizei“, sagte er. Gemeint war die 1990 gegründete Antiterroreinheit „EKAM“. Diese Spezialtruppe, so der Minister, „hat versagt“. Jetzt soll die Hälfte der „EKAM“-Mitarbeiter — rund 50 Personen — entlassen werden.
Auslöser für die Flucht des Ministers nach vorn war die jüngste Fahndungspanne: Am 27. März war es vier mutmaßlichen Mitgliedern des „17. November“ gelungen, einer von der Polizei gestellten Falle zu entkommen. Offensichtlich war das Kommando vorgewarnt. Aufgrund dieses Vorfalls, dessen Einzelheiten bislang im dunkeln blieben, war bereits EKAM-Chef Mihalis Mavroleas seines Postens enthoben worden.
In- und ausländische Antiterrorspezialisten vermuteten schon lange, daß sich hinter dem ominösen „17.November“ einflußreiche Kreise verbergen. Immer wieder wurde der Verdacht laut, die sozialdemokratische Pasok selbst, deren charismatischer Chef Papandreou das Land fast die gesamten 80er Jahre hindurch regierte und seine Gefolgsleute in die Spitzenpositionen im Land manövrierte, habe kein Interesse an der Verfolgung der bewaffneten Kämpfer.
Seit seiner Gründung im Jahre 1975 war es dem „17.November“ immer wieder gelungen, Teile der Öffentlichkeit hinter sich zu bringen. Schon der Name der Organisation weckt bei aufrechten DemokratInnen positive Assoziationen. Er erinnert an die Besetzung des Athener Polytechnikums im Jahre 1973, die dem Obristenregime einen empfindlichen Schlag versetzte. Die seitenlangen Kommandoerklärungen des „17. November“, die in antiimperialistischer Rhetorik die Machenschaften von USA, Nato und EG anprangerten, aber auch griechische Politik analysierten, waren gern gelesene Lektüre. Angesehene Athener Tageszeitungen veröffentlichten die Pamphlete am Tag nach den Attentaten in voller Länge. Nachdem die Regierung Ende 1990 den Nachdruck der Attentats-Rechtfertigungen per Gesetz verbot, gingen zahlreiche aufrechte JournalistInnen lieber ins Gefängnis, als sich den „Maulkorb“ anlegen zu lassen.
Nicht ungeschickt war auch die Auswahl der Anschlagsziele. Besonders verhaßt in der griechischen Öffentlichkeit war das erste Todesopfer des „17. November“, der 1975 erschossene Stationschef des CIA bei der US-Botschaft in Athen, Richard Welsh, der als ein Komplize der Putschisten galt. Auf Welsh folgten zahlreiche konservative Politiker, Staatsanwälte, Industrielle und ausländische Diplomaten. Erst viele Jahre später kam es zu massiven öffentlichen Protesten: 1989 traten griechische Juristen in einen zehntägigen Ausstand, nachdem der „17. November“ den Oberstaatsanwalt Anastasios Vernardos ermordet hatte. Zweifel an der „Fähigkeit der Verantwortlichen, die Verbrechen aufzuklären“, führten damals zu der Forderung der Streikenden nach dem Rücktritt des damaligen Ministers für öffentliche Ordnung, Giorgios Petsos (Pasok).
Für 40 Attentate hat der „17. November“ die Verantwortung übernommen. In jüngster Zeit hat sich die Gruppe auf Einrichtungen der EG spezialisiert, aber auch das Siemens-Büro und die Löwenbräu-Brauerei in Griechenland wurden mit aus griechischen Armeebeständen geraubten Raketen attackiert. Ein prominentes Opfer der Gruppe war im Herbst 1989 Pavlos Bakojannis, Parlamentsabgeordneter der konservativen „Nea Demokratia“ und Schwiegersohn des jetzigen Regierungschefs Konstantinos Mitsotakis. Er wurde mit derselben Pistole erschossen wie der CIA-Mann Welsh mehr als ein Jahrzehnt zuvor.
Zwar ist dem „17. November“ seit Jahresanfang kein Attentat mehr gelungen (1991 waren es insgesamt 16, darunter ein Attentat gegen einen türkischen Diplomaten und eines gegen einen US-Offizier), was Athener Zeitungen bereits als „Fahndungserfolg“ feierten, doch verschwunden sind die Unsichtbaren damit noch nicht. Anagnostopoulos, der Polizeiminister, zumindest rechnet mit weiteren Überraschungen. Am Freitag sagte er, daß er „überhaupt keine Möglichkeit“ zur Erklärung des Phänomens mehr ausschließe. Dorothea Hahn
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