: Auftritt: Rußland
■ Jelzin könnte eine Sanktionspolitik der KSZE gegen Serbien verhindern
Auftritt: Rußland Jelzin könnte eine Sanktionspolitik der KSZE gegen Serbien verhindern
Mit der gleichen unerbittlichen Logik, die alle historischen Konflikte der Balkanregion wiederbelebt hat, betritt auch ein verloren geglaubter Protagonist wieder die Szene: Rußland. Am Nein der russischen Regierung droht auf der KSZE-Vorbereitungskonferenz eine Politik entschiedener Sanktionen gegen Serbien zu scheitern. Jelzins Nein würde auch eine Resolution des Weltsicherheitsrats torpedieren, mit der allein ein Ölembargo gegen die Belgrader Chauvinisten möglich wäre. Noch im Augenblick seiner größten Schwäche knüpft damit Rußland an eine Balkanpolitik an, zu deren Konstanten die Unterstützung der serbischen Annexionspolitik gehörte.
Die vierzig Jahre sowjetischer Hegemonie über Südosteuropa hatten diese Kontinuität verdeckt. Die Außenpolitik von Stalin bis Breschnew praktizierte in der Region das klassische „Teile und Herrsche!“. An Stalins Einspruch scheiterten die Balkan-Föderationspläne Georgii Dimitroffs und Josip Broz Titos, die allein zu einer dauerhaften Entschärfung wenigstens einiger der Nationalitätenkonflikte hätten führen können. Um das abtrünnige Jugoslawien zu schwächen, schoben die sowjetischen Diplomaten ihre bulgarischen Satelliten vor, damit diese an der latenten Mazedonien-Krise zündelten. Als der jugoslawische Staatsverband in die tödliche Krise geriet, als die nur scheinbar deckungsgleichen Ideologien des „Jugoslawismus“ und des „Großserbentums“ auseinanderdrifteten, kehrte die russische Politik zu ihrer ursprünglichen proserbischen Option zurück. Einst, zur Zeit des Zaren, hatte der Petersburger Hof die Serben wie generell die orthodoxen Slawen des Balkan unterstützt, um mit ihrer Hilfe die Türkei aus Europa zu verdrängen. Die Eroberung Konstantinopels war über die Generationen hin offen proklamiertes Kriegsziel. Mit ihm verbanden sich die Herrschaftsansprüche der russischen Orthodoxie. Jetzt, in einer Zeit religiöser Wiedererweckung, spielt das orthodoxe Bekenntnis der Serben auch für eine Außenpolitik eine Rolle, die, wie die russische, die Westorientierung auf ihr Banner geschrieben hat. Und auch der Antagonismus zur Türkei, dem alt- neuen Rivalen am Schwarzen Meer und in Zentralasien, bestimmt wie in einem Wiederholungszwang zunehmend die russische Position auf dem Balkan.
Aus Rußlands Schwäche auf seine politische Handlungsunfähigkeit zu schließen wäre ein ökonomistischer Irrtum. Die EG-Diplomaten wären gut beraten, die Rückkehr Rußlands auf den Balkan nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie zu nutzen — für einen fairen Interessenausgleich. Allerdings ist daran schon Bismarck gescheitert. Christian Semler
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