: Leiden an gemeinsamer Treppe
■ Alles übers „Bremer Haus“ / Studie in der Architektenkammer vorgestellt
Unser „Bremer Haus“, jenes heute so begehrte Schätzchen im Immobilienangebot dieser Stadt, war erneut Objekt wissenschaftlicher Bemühungen. In der Architektenkammer stellte am Dienstag der Autor Wolfgang Voigt seine Schrift über Wohnungsreform und Städtebau in Bremen in der Zeit von 1880 bis 1940 vor, die den lapidaren Titel „Das Bremer Haus“ trägt.
Es gibt schon Dissertationen und weitere gelehrte Abhandlungen über die Frage, wie es geschehen konnte, daß man in einer Zeit, als andernorts die Spekulation im Wohnungsbau zu Mietskasernen führte, in Bremen Häuschen an Häuschen setzte — womit jene ungeheure Bevölkerungsverdichtung vor allem in den Arbeitervierteln vermieden wurde, die als eines der Hauptübel der Großstädte im 19. Jahrhundert galt. Voigt beschreibt in seinem Buch die wirtschaftlichen und sozialhistorischen Hintergründe der Bremer „Sonderentwickelung“ in bisher noch nie erreichter Vollständigkeit und Klarheit.
Gleichzeitig entwickelt er eine Ideen- und Reformgeschichte des Bremer Hauses, die deutlich macht: so selbstverständlich das Bremer Haus als Regelbautyp bis zum Dritten Reich in Bremen war, so umstritten war es auch. So lange es das Bremer Haus gibt so lange dauert auch die Diskussion um seine „Reform“. Immer wieder gab es Initiativen zur Einführung eines „echten Mietshauses“, denn zumindest ein Problem bestand von Anfang an: das „Leiden an der gemeinsamen Treppe“, wie Voigt formulierte. Das Bremer Haus ist als Einfamilienhaus konzipiert, konnte aber nur von den wirklich reichen Leuten von Anfang an so genutzt werden. Die anderen mußten vermieten, und damit waren auch diese Häuser überbelegt.
Dennoch wurde das „Bremer Haus“ als „Antithese zur Mietkaserne“ zum Mythos der Wohnungsreform. Der Berlin-Kritiker Werner Hegemann staunte über die „provinzielle Besonnenheit“, mit der in Bremen die Übel der rasch wachsenden Industriestädte vermieden wurden. Andere sahen im Bremer Städtebau die Gartenstadtidee vorweggenommen.
Antithese zur Mietskaserene, Mythos der Wohnungsreform, provinzielle Besonnenheit!
Voigt beschäftigt sich in seinem Buch nicht mit den Schwachhauser Prachtexemplaren, die den Schutz des Denkmalpflegers gefunden haben, sondern mit der Masse der „kleinen Häuser für die kleinen Leute“ in den östllichen und westlichen Stadtgebieten sowie in der Neustadt. Dabei zeigt er, daß die Wohnverhältnisse meist gar nicht so idyllisch waren, wie der Mythos suggerierte.
Die Studie reicht bis 1940, aus gutem Grund : Die zentralgesteuerte nationalsozialistische Baupolitik vertrug sich schlecht mit regionalen Besonderheiten und bereitete das Ende des Bremer Hauses als Regeltyp vor. Endgültig und radikal wurde die Bremer Baukultur allerdings erst nach dem 2. Weltkrieg verändert. Was von nun an als „modern“ und gut galt, ist in den Anfängen im Bremer Westen und beispielhaft in der Neuen Vahr zu besichtigen.
Das Buch kostet 58 DM und ist in der Schriftenreihe des agilen Hamburgischen Architekturarchivs erschienen, die im Hamburger Junius Verlag herausgegeben wird. Sowohl der Autor wie auch einer der Herausgeber, Hartmut Frank, machten gegenüber dem Bremer Publikum entschuldigende Bemerkungen zu dieser Tatsache. Aber keiner der vom Autor angesprochenen Verlage war bereit, diese hervorragende Studie zu publizieren. Wenn, wie Frank meinte, die norddeutsche Baukultur im Vergleich zur süddeutschen oder zur Berliner bisher „unter Wert verkauft“ worden ist, dann liege dies offentsichtlich auch an der regionalen Kultur selbst. hß
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