Sexpotenzen und Machtkrämpfe

Als „Wiedergutmachung“ an Magnus Hirschfeld soll an der Berliner Humboldt-Universität ein „Institut für Geschlechter- und Sexualforschung“ gegründet werden/ Doch die Initiative bleibt im Streit zwischen „Konstruktivisten“ und „Biologisten“ stecken  ■ Von Ute Scheub

Wie haben sich die Geschlechterrollen durch den Systemwandel in der Ex-DDR verändert? Ist die Gewalt gegen Frauen und Kinder dadurch stärker geworden? Welche unterschiedlichen Diskriminierungen haben Homo- und Transsexuelle in der DDR und BRD erlebt und warum? All diese Fragen, und man könnte noch eine Menge mehr anführen, künden von einem geradezu schreienden gesellschaftspolitischen Bedarf nach Antworten. Ihrer Erforschung hätte sich die Ostberliner Humboldt-Universität als herausragende Schnittstelle zwischen Ost und West widmen können, wenn eine Initiative zur Einrichtung eines „Instituts für Geschlechter- und Sexualforschung“ nicht in einem geradezu exemplarischen Interessensstreit zwischen Ost und West, zwischen Männer und Frauen, zwischen Hetero- und Homosexuellen steckengeblieben wäre. Es wird wohl des massiven Drucks interessierter gesellschaftlicher Gruppen bedürfen, um den festgefahrenen Karren aus dem Schlamm zu ziehen.

„Sexualität soll erforschen, wer damit Probleme hat“

Besonders frustrierend ist das für die Mitglieder der 1982 in West-Berlin gegründeten „Magnus-Hirschfeld- Gesellschaft“, denen nun schon zum zweiten Mal das Scheitern ihrer Bemühungen droht, das Vermächtnis des jüdischen Arztes und Sexualreformers weiterzuführen. Hirschfeld hatte 1919 in Berlin-Tiergarten das seinerzeit einmalige „Institut für Sexualforschung“ gegründet, in dem unter anderem eine Ehe- und Sexualberatungsstelle und das „Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee“ als erster Interessenverband von Homosexuellen Platz fanden. Das seit 1924 von einer Stiftung getragene Institut wurde jedoch 1933 von den Nazis zerstört und der Wille seines emigrierten Gründers nach Errichtung eines sexualwissenschaftlichen Lehrstuhls auch nach Kriegsende mißachtet. Ein erster Anlauf der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, das Institut in den 80er Jahren als „späte Wiedergutmachung“ an der Westberliner Freien Universität wiederzugründen, blieb ebenfalls erfolglos. Dieter Heckelmann, damals FU-Präsident und heute Berliner Innensenator, soll die Debatte mit den markigen Worten beendet haben: „Sexualität soll erforschen, wer damit Probleme hat. Wir haben sie nicht.“

Jene Arroganz des gewöhnlichen heterosexuellen Mannes, der die selbstproduzierten Macht- und Gewaltverhältnisse nicht in Frage stellen lassen will oder sie sogar als biologisch natürlich verbrämt, ist auch heute noch bei manchen Kontrahenten herauszuhören. Dieser gesellschaftliche und universitäre Machtkampf zwischen den diskriminierenden Heteromännern auf der einen und den diskriminierten Frauen, Homo- und Transsexuellen auf der anderen Seite wird jedoch von einem Ost-West-Konflikt überlagert, seit Ralf Dose als Gründungsvater der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft einen zweiten Anlauf an der Humboldt-Uni unternahm. 15 renommierte WissenschaftlerInnen aus Ost- und Westdeutschland legten im Oktober 1991 ein Gründungs-„Memorandum“ an die Adresse des Akademischen Senats vor — unter anderem die feministische Philosophin Tina Thürmer-Rohr aus Berlin, die Frankfurter Sexualforscher Volkmar Sigusch und Martin Dannecker, Margret Hauch, Bundesvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, und Kurt Starke, ehemaliger Leiter des bekannten Leipziger Instituts für Jugendforschung. Zentrale Aussage: „Bestimmend für die Arbeit des Instituts ist die Erkenntnis, daß die Geschlechterverhältnisse gesellschaftlich konstruiert und durch soziale, ökonomische, kulturelle und andere Bedingungen patriarchal und hierarchisch strukturiert sind. Neue Einsichten in das Verhältnis der Geschlechter lassen sich nur gewinnen, wenn die gesellschaftliche Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und die Bedingungen struktureller Gewalt in den Mittelpunkt der Forschungen gestellt werden. Aus dieser Sicht ist die Anbindung des Instituts an den Fachbereich Sozialwissenschaften zwingend.“ Just jene Sätze jedoch brachten einige Ost-Dozenten völlig in Rage. „Es muß befremden“, schrieben fünf Professoren, darunter der Verhaltensbiologe Günter Tembrock und der umstrittene Hormonforscher Günter Dörner, der Homosexualität aufgrund von Rattenversuchen als hormonell bedingt ansieht, „daß bei der Vorbereitung zu einem solchen Institut nicht auf die Fülle der sexualwissenschaftlichen Potenzen (sic!) der Humboldt-Universität zurückgegriffen wurde.“ Doch die Forscher fürchteten nicht nur um Macht und Einfluß in der eh von Umstrukturierung bedrohten Universität, sie stellten auch den „einseitig sozialwissenschaftlichen Ansatz“ in Frage, „der der Komplexität des Themas nicht gerecht wird und im internationalen Vergleich antiquiert anmutet“. Bei einem Gespräch mit dem damaligen Rektor Heinrich Fink verlangten die Professoren, daß ein öffentliches Hearing über das Memorandum nicht oder zumindest nicht in offiziellem Rahmen stattfinden dürfe. Fink, der als Ex-Mitglied des universitären „Arbeitskreises Homosexualität“ um den Mangel an Sexualforschung unter den glücklichen, rundum realsozialistisch entwickelten Persönlichkeiten in der DDR wußte und sich für das Institut stark gemacht hatte, knickte ein.

Als vorläufig letzte öffentliche Initiative der „Memorandumsgruppe“ ging das Hearing im Dezember 1991 dennoch, auch ohne den Segen des Akademischen Senats, über die Bühne — und endete im Eklat. Volkmar Sigusch warf dem Hormonforscher Dörner „verbrecherische Aktivitäten“ vor, weil er der operativen oder hormonellen Behandlung von Homosexuellen Vorschub leiste.

Spätestens hier wurde der Streit zur hochpolitischen Frage um den möglichen Mißbrauch der Forschung zur Menschenmanipulation oder zur Legitimierung von Gewaltverhältnissen. Die Humboldt-Professoren und der Sexualmediziner Hartmut Bosinski, die die Medizinische Fakultät hinter sich wissen, kritisieren bis heute vehement die „ideologischen Vorannahmen“ des „Konstruktivismus“ — die Prämisse, das Geschlechterverhältnis sei nicht biologisch, sondern gesellschaftlich konstruiert. Die „Memorandumsgruppe“ hingegen verweist immer wieder darauf, daß just diese Herangehensweise das zu gründende Institut zu einer einmaligen Einrichtung machen werde, da alle anderen Sexualforschungsstellen — in Hamburg, Frankfurt, Kiel — in Bereichen der Medizin angesiedelt sind. Und noch etwas soll das streng geschlechterparitätisch zu besetzende Institut nach Meinung der Ost-Kulturwissenschaftlerin Irene Dölling und anderen als ein besonderes auszeichnen: die Meta-Reflexion darüber, welche (Geschlechts-)Interessen in die Fragen der ForscherInnen einfließen.

So gesehen sind die „sexualwissenschaftlichen Potenzen“ der Kritiker die üblichen männlichen, zumal in ihren Aufsätzen die patriarchalischen Gewaltverhältnisse nur am Rande eine Rolle spielen. In einem Punkt allerdings ist das Ost-Mißtrauen gegen den West-„Konstruktivismus“ verständlich und nachvollziehbar: Die Annahme, allein durch die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse werde auch der Mensch zum Besten gewendet, führte in der DDR zur Erziehungsdiktatur mit den bekannten Folgen.

Hier allerdings tut sich eine ironische Fallgrube zumindest für die Humanogenetiker unter ihnen auf: Wenn die Menschen wie behauptet doch eher biologisch als gesellschaftlich begründet reagieren, dann muß ihnen auch das realsozialistische Gemeinwesen in irgendeiner schwabbeligen Vorform in den Genen gelegen haben.