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„Es ist sinnlos, wenn man nichts hat“

Das Elend der humanitären Hilfe im umkämpften Südsudan  ■ AUS NASIR BETTINA GAUS

Die südsudanesische Kleinstadt Nasir ist ein beschaulicher Ort. Ruhig fließen die Wasser des Sobat an runden, grasgedeckten Hütten vorbei. Auf dem Fluß angeln junge Männer in Einbäumen, am gegenüberliegenden Ufer grasen Ziegen. Auch einen Markt gibt es. Nahrungsmittel sind dort allerdings kaum zu haben, statt dessen werden vor allem Brennholz, heißer Tee und einige Importprodukte aus dem nahe gelegenen Äthiopien zum Kauf angeboten.

Die Händler, die diese Waren aus dem Nachbarland beschaffen, gehen ein hohes Risiko ein. Das Grenzgebiet ist unsicher. Anhänger der Rebellenbewegung SPLA, die weite Teile des Südsudans kontrolliert, sind in Äthiopien nicht mehr gerne gesehen, seit dort der Präsident Mengistu Haile Mariam, ein enger Verbündeter der SPLA, vor einem Jahr gestürzt worden ist. Viele der Handlungsreisenden kehren nicht mehr heim. Dennoch gehen immer wieder Geschäftsleute das Wagnis ein: Angesichts einer völlig darniederliegenden Wirtschaft im Südsudan liegt in der Reise über die Grenze ihre einzige Chance, etwas Geld zu verdienen.

Am Straßenrand in Nasir liegen große Berge roter Ziegel. „Das war früher unser Einkaufszentrum“, sagt ein Mann. Die Häuser sind 1989 zerstört worden. Damals haben Guerilleros der SPLA die Soldaten der sudanesischen Armee aus der Stadt vertrieben. Die einstigen Schützengräben zeugen als tiefe, langgestreckte Löcher inmitten der Stadt noch immer von den Kämpfen. Ein Mann mit nur einem Bein humpelt auf Krücken den Weg entlang: ein Opfer der Tretminen, von denen viele nach wie vor unter Bäumen vergraben liegen, deren Schatten in der trockenen Hitze zur Rast einladen.

Viele Einwohner Nasirs sind dünn und ausgemergelt, obwohl es im Sobat Fisch im Überfluß gibt. Aber Fisch allein genügt eben nicht. Es fehlt an Getreide oder anderer stärkehaltiger Kost. Fast zwei Monate lang hatte die Zentralregierung in Khartoum den Vereinten Nationen die Genehmigungen für Hilfsflüge in den gesamten Südsudan verweigert — eine in dem seit 1983 tobenden Bürgerkrieg von beiden Seiten immer wieder geübte Praxis, mit der der Gegner unter Druck gesetzt werden soll.

Gespaltene Guerilla

Seit rund drei Wochen dürfen nun Nasir und die Orte Waat und Akobo wieder angeflogen werden. Die Region um diese Kleinstädte wird von der SPLA-Fraktion unter Führung von Kommandant Riek Machar kontrolliert — jener Gruppierung, die sich im Herbst letzten Jahres von SPLA-Führer John Garang losgesagt und den Kampf gegen ihn aufgenommen hatte. Demokratisierung der Guerillabewegung hatten die Rebellen damals auf ihre Fahnen geschrieben und Garang schwerer Menschenrechtsverletzungen beschuldigt.

Auch viele ausländische Beobachter hatten geglaubt, dem Versuch einer Erneuerung der Bewegung könne Erfolg beschieden sein. Heute sieht das ganz anders aus: Massaker an Zivilisten in der Stadt Bor, die Einheiten der Nasir-Fraktion im November verübt haben, ließen den Vertrauensvorschuß, den Riek Machar im Ausland genoß, schnell dahinschwinden. Politisch hat er nichts erreicht: Die Spaltung der SPLA wird als einer der Gründe dafür gesehen, warum die jüngste Militäroffensive der Zentralregierung in Khartum weit erfolgreicher war als irgend ein anderer Vorstoß der Armee in der Vergangenheit. Riek Machar wird heute vielfach nur noch als Statthalter von Khartums Gnaden betrachtet, ja sogar offen der Kollaboration mit der Zentralregierung beschuldigt.

Er selbst weist das weit von sich: „Absolut falsch“ seien derartige Vorwürfe. Über Gründe, warum die von ihm kontrollierte Gegend als einziges Gebiet des Südsudan von Hilfsflügen wieder erreicht werden kann, mag er nicht nachdenken: „Da müssen Sie Khartum fragen. Ich verhandle nicht mit Khartum über Fluggenehmigungen.“ Hart und abweisend reagiert der 39jährige auf derartige Fragen — ein schroffer Gegensatz zu der betont unkomplizierten offenen Freundlichkeit, mit der er Besuchern ansonsten begegnet. Auch die Erwähnung der Massaker in Bor gefällt ihm nicht: „Ich verurteile diese Ereignisse.“ Und dann spricht er lange über Menschenrechtsverletzungen, die John Garang begangen hat.

Das Morden geht weiter. Augenzeugen sprechen davon, daß in der Gegend um Baliet nordwestlich von Nasir derzeit Männer, Frauen und Kinder vom Volk der Dinka, zu dem auch John Garang gehört, abgeschlachtet werden. „Riek Machar hat völlig die Kontrolle über seine Leute verloren“, sagt ein UN-Mitarbeiter. „Die Kämpfe werden derzeit nicht mehr um politische Ziele, sondern entlang der ethnischen Grenzen geführt.“ Dabei ist es doch auch das politische Programm, das die Nasir- Fraktion von John Garang trennt: Während dieser von sich behauptet, für eine Demokratisierung des Gesamtsudans zu streiten, wollen jene die staatliche Unabhängigkeit des Südens.

Tatsächlich haben die afrikanischen Südsudanesen, die überwiegend Christen und Anhänger von Naturreligionen sind, kaum etwas mit ihren arabisch-moslemischen Landsleuten im Norden gemein. Und der Verdacht, daß Khartum trotz gegenteiliger Versicherung das islamische Recht, die Scharia, im ganzen Land einführen will, rückt die Möglichkeit eines friedlichen Nebeneinanders in weite Ferne. „Wenn Garang sich unserer Forderung nach Sezession anschließen würde, dann könnten wir bei Friedensverhandlungen mit Khartum sogar als gemeinsame Delegation auftreten“, meint Riek Machar.

Derzeit aber sieht es so aus, als habe keine der beiden SPLA-Fraktionen überhaupt noch allzu viel Verhandlungsspielraum: Im Rahmen ihrer militärischen Großoffensive hat die Zentralregierung die meisten von der SPLA kontrollierten Städte zurückerobert — die Guerillabewegung wird in den Busch getrieben. Die Lage der Zivilbevölkerung ist vielerorts verzweifelt.

Von Hilfe abgeschnitten

Das Welternährungsprogramm WFP schätzt, daß insgesamt rund eine Million Menschen im Südsudan auf ausländische Hilfe angewiesen sind — aber nur etwa die Hälfte davon kann von Unterstützung überhaupt erreicht werden. Allein im Gebiet westlich des Nils ist fast eine halbe Million von Hilfstransporten abgeschnitten. Diesem Teil der Bevölkerung gilt aber noch nicht einmal die größte Sorge der ausländischen Helfer: Am schlimmsten, so fürchten sie, ist die Situation zwischen Bor und Mongalla, einer Region, die erst vor wenigen Wochen von der sudanesischen Armee erobert worden ist. 70.000 Flüchtlinge, darunter 6.000 von ihren Familien getrennte Kinder, lebten dort Anfang April — und ihr Zustand wurde bereits damals als „kritisch“ beschrieben. Was aus ihnen seither geworden ist, weiß niemand. Das Gebiet ist völlig von der Außenwelt abgeschnitten.

Weiter nördlich, zwischen Bor und Kongor, ist die Lage ähnlich dramatisch: Dort warten etwa 100.000 Südsudanesen auf Hilfe. Sie sind von doppelter Not betroffen. Nicht nur der Bürgerkrieg bedroht ihre Existenz, sie haben darüber hinaus bei schweren Überschwemmungen im letzten Jahr fast ihr gesamtes Vieh und die Ernte verloren.

Angesichts des Massenelends von Flüchtlingen im Südsudan kommen jene, die noch in ihrer Heimat leben, nur zu einem kleinen Teil in den Genuß von Hilfe — die zur Verfügung stehenden Mittel reichen einfach nicht aus. „Elendsbilder wie die, die vor zehn Jahren aus der Sahelzone die Welt erschüttert haben, sind inzwischen für uns schon der Normalfall“, sagt Dieter Hannusch vom Welternährungsprogramm. „Da fangen wir schon fast nicht mehr an.“

Das Krankenhaus von Nasir ist als solches nur durch die Patienten zu erkennen, die auf dünnen Matratzen am Boden liegen: Es gibt keine Medikamente, keine sanitären Anlagen, kaum Instrumente. Drei Kinder mit unbehandelten Schlangenbissen warten dort auf den fast sicheren Tod— das Penicillin, das ihr Leben retten könnte, ist nicht aufzutreiben. „Ich überlege, das Krankenhaus zu schließen“, sagt der Arzt Tut Lam Khong. „Es ist sinnlos, wenn man überhaupt nichts hat. Was soll ich hier tun?“

Wegen der unsicheren Verhältnisse in Äthiopien kann Nasis nur über eine Luftbrücke von Kenia aus versorgt werden, zumal die Kämpfe um Baliet jetzt auch den Landweg vom Nordwesten her gefährden. Die Hilfsflüge sind teuer: Eine Tonne Luftfracht kostet rund 1.400 US- Dollar, das Siebenfache dessen, was für einen Nahrungsmitteltransport auf der Straße aufzubringen ist. Unter diesen Umständen ist an Entwicklungsprojekte mit mittel- oder gar langfristiger Perspektive kaum zu denken: „Es würde rund 250.000 Mark kosten, die ganze Sobat-Region mit Unterrichtsmitteln auszustatten, so daß den Kindern ein normaler Schulunterricht ermöglicht wäre“, meint Ferdinand Leonhard von einer Hilfsinitiative der Universität Mainz. „Es gibt keine Tafeln, keine Kreide, kein Papier und keine Bücher. Bildung ist aber die Voraussetzung für eine Entwicklung zur Selbständigkeit hin. Die Folgen dieses Mangels werden sich erst in der Zukunft zeigen. Eine ganze Generation wächst hier wegen des Bürgerkrieges ohne Chance auf eine Zukunft auf.“

Die Hilfsorganisationen konzentrieren sich auf die „verwundbarsten Gruppen“: Flüchtlinge, unterernährte Kinder, stillende Mütter. Mancherorts entsteht so die groteske Situation, daß es denen, die noch in ihrer gewohnten Umgebung leben können, schlechter geht als den scheinbar Bedürftigsten.

Aber wer gehört heute schon noch zur normalen Bevölkerung der Region? „Der ganze Südsudan ist in Bewegung. Jeder zieht von einem Ort zum anderen“, meint Kilian Kleinschmidt vom WFP. Das allein wäre kein Grund zur Sorge. Seit jeher sucht die halbnomadische Bevölkerung je nach Jahreszeit neue Weideplätze für ihr Vieh oder bebaut kurz vor der Regenzeit Land für die nächste Ernte. Der Krieg aber hat traditionelle Wanderwege unpassierbar gemacht. Wer ist Flüchtling, wer zieht seine gewohnten Bahnen im Südsudan? Das läßt sich für die ausländischen Helfer oft nur mühsam herausfinden. Die Folge: ein verwirrender Dschungel unterschiedlicher Zahlen verschiedener Hilfsorganisationen, der bei potentiellen Gebern Verärgerung auslöst und die Spendenbereitschaft weiter mindert.

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