: KÖLNER KARNEVALIST IN DEN FÄNGEN DER STASI
„Nach vorne denken — Frohsinn schenken!“
Die Nachricht kam aus Ost-Berlin: Auch ein Kölner Karnevalist hing offenbar in den Fängen der Stasi- Krake. Dokumente aus der Gauck- Behörde enthüllen, daß Werner P. vom Karnevalsverein „Lustig, lustig“ seit 1975 als Inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit gearbeitet hat.
Sein Deckname war Programm: IM „Kamelle“, hinter dem sich der prominente Kölner Jeck Werner P. verbirgt, soll jahrelang in engem Kontakt mit der Stasi gestanden haben. Ihr gab er vertrauliche Informationen über die Nachfrage nach Karnevalsbonbons, die ihm das MfS dann auf konspirativem Wege besorgte. Jedes Frühjahr traf sich „Kamelle“ mit seinem Führungsoffizier in Ost-Berlin. Dort lieferte er Berichte über das närrische Treiben seiner Gesinnungsgenossen ab. Aus Tonbandprotokollen geht hervor, daß er sie z.B. als „Bonbonfresser“ bzw. „potentielle Abnehmer“ denunzierte. Werner P. bestreitet, jemals „über das notwendige Maß hinaus“ mit der Stasi gesprochen zu haben. Er habe lediglich mit dem MfS verhandelt, weil die Bonbons aus DDR-Produktion billiger gewesen seien als westdeutsche Ware, aber er habe damit niemandem geschadet. „Uns war nicht immer schlecht“, rechtfertigte sich Werner P.
Noch ungeklärt ist, ob P. von sich aus für die Stasi wurde. Das hatte sein Führungsoffizier Oberst Schröter in einem Gespräch mit den 'Ruhr-Nachrichten‘ behauptet. Wie Schröter darüber hinaus berichtete, hatte sich Werner P. bei den konspirativen Treffen unter anderem mit selbstgedichteten Büttenreden lieb Kind zu machen versucht. So heißt es beispielsweise in dem Text Lied vom tapferen Karamelrührer: „Mutiger Held an der klebrigen Front/ Kämpfst Du, Arbeiter./ Stolz deiner Klasse verbunden/ Kauend im Gleichklang mit den Genossen.“
Schröter zufolge war Werner P. ein eifriger Mitarbeiter, er habe sich vor den DDR-Bürgern vor allem dadurch ausgezeichnet, „daß er an den ganzen Unsinn wirklich geglaubt hat“. Oft sei er über das Auftragssoll hinausgeschossen. Er profilierte sich in seinem Verein zum Beispiel bei wochenlangen zermürbenden Flügelkämpfen über die Frage des richtigen Umzugsmottos. Sein Vorschlag dafür lautete: „Nach vorne denken — Frohsinn schenken“. Die Flügelkämpfe endeten mit Abspaltung der Fraktion „Frohsinn jetzt“ mit dem Slogan „Funkenmariechen marschieren“.
Der Karnevalsverein „Lustig, lustig“ nahm die Nachricht von der Stasi-Tätigkeit seines Mitstreiters mit Bestürzung auf und entzog Werner P. das Mandat für den Posten des stellvertretenden Schriftführers. Man will den Fall P. jetzt zum Anlaß nehmen, Kontakte mit der DDR in den siebziger und frühen achtziger Jahren umfassend aufzuarbeiten, wie es in einer Erklärung heißt. Der Verein „Lustig, lustig“ habe zu lange die Augen vor der Tatsache verschlossen, daß die Bonbons aus der DDR möglicherweise politisch belastet sein könnten, heißt es selbstkritisch. Noch 1987 sei ein Mitglied des Vereins, der die Bonbons aus dem Süßwarenkombinat „Sieg der Werktätigen“ in Leuna als „Honeckers Klebstoff“ bezeichnet hatte, aus dem Verein ausgeschlossen worden. Zuvor hatte man ihn öffentlich als „Kalten Krieger“ diffamiert. Um den Neuanfang zu dokumentieren, hat der Verein den Betroffenen gestern wieder aufgenommen.
Für Werner P. aber wird ein Neuanfang ungleich zäher werden. Denn seine Genossen wollen ihn in der nächsten Woche in einem „Tribunal“ mit Opfern der DDR-Bonbons konfrontieren. Viele von ihnen sind durch Zahnplomben für ihr Leben gezeichnet. Lisa Steger
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