Deutscher Meister wird nur der ...

■ Die spannendste Saison in der Geschichte der Bundesliga wird heute entschieden/ Den Vfb Stuttgarter Kickers will keiner als Meister haben, Borussia Dortmund soll's werden und die Frankfurter haben ...

Aus Dortmund B.Müllender

Borussia muß Meister werden. Dafür gibt es viele Gründe. Vor allem den, daß es die beiden anderen nicht schaffen. Frankfurt — gut, damit könnte auch der nicht-hessische Fußballfreund so gerade noch leben: von wegen multikultureller Coach und beinesker Spielkultur. Aber diese Schickimicki-Szenerie dort und dieser Möller, dieser schleimige Abzocker und milchgesichtige Kotzbrocken, der einst Dortmunds Fans ewige Treue schwor und über Nacht verschwand. Nein! Stuttgart — das wäre der Gau: Schreihals Daum und der rechtsgewirkte Präsident als Sinnbild der organisierten Vereinsmeyervorfelderei? Diese Buchwaldbuben und Fritzwalterstolperer, die Glück und Minimalismus zum Prinzip erhoben haben. FußballgöttInnen/r, steht uns bei! Nein, die Borussia muß Meisterin werden. Weil sie so einen netten Trainer hat, der beinahe wie ein Intellektueller wirkt und Fremdworte im Repertoire hat. Und weil er Gefühl zeigt im rohen Männersport: Als er Bremens 2:1-Führung in Frankfurt hörte, letzte Woche, sei es ihm „kalt den Rücken herunter gelaufen“. Das ist doch was, da spürt man doch mit. Borussi-ja — auch wegen des Ruhrgebiets natürlich, der Arbeiterfußballwiege, die zur Komplettierung des Imagewandels und gleichzeitig zur Traditionspflege einfach mal wieder einen Champ verdient hat. So heißt es immer wieder, und die Magazine waren zuletzt voll mit sympathisierenden Hochglanzreportagen in schwarz und gelb. Diese Fans! Diese Stimmung! Dieses Einmalige! Deutschlands schönstes Fußballstadion! Borussiaphobie.

Her mit dem Titel! Das Meisterpils wartet schon in den Sudkesseln der Bierstadt (Bier ist Fußballers Getränk — nicht Äppelwoi und erst recht nicht das weinerne Viertele oder die Südmilch). Und so nette und intelligente Spieler (mehrere mit Hochschulreife ausgestattet) haben die Borussen: Flemming Povlsen, der mit den Schmuseaugen. Chappy, der nuschelnde Schweizer Toremacher. Frank Mill, das Schlitzohr, erster Totalverweigerer der Liga (wurde einst durch Feldjäger vom Trainingsplatz in die Kaserne verschleppt), der vom Intriganten zum mannschaftsdienlichen Ersatzbankschweiger geworden ist. Oder Michael Schulz, vom Polizisten über vierfachen Rotsünder zum lammfrommen Flankengeber mutiert. Oder Knut Reinhard, der jetzt Doppelpaß mit dem Herrn spielt. „Ich glaube“, sagte er nach dem letzten Sieg, „der liebe Gott schläft in schwarz-gelber Bettwäsche.“ Reinhard hat eben erkannt, daß Fußball in Dortmund Religion ist. Ist das nicht schön? Was stört es da, daß Thomas Helmer knallhart pokert wie einst der Judas Andi — nein, bei Helmer nennen wir das geschickte, clevere Vertragsverhandlungen. Und wenn Stefan Klos hundsgemein brutal Leverkusens schönem Kirsten das Schienenbeinköpfchen zermalmt, war das doch ein Zusammenprall, kein Rotfoul. Den Stadionrasen haben sie diese Woche meterweise in schwarz- gelbe Kartonagen gepackt verkauft. Die Fans standen Schlange nach der grünen Westfalenpizza am Meter und haben sie — das Fernsehen zeigte rührende Bilder — in Vorgärten und Verandagehänge gepflanzt. So was als Vizemeistergrün — nein! Als Drittplaziertengewächse — das darf nicht sein. Die Salatschüssel muß drauf!

Aus Frankfurt M. Kittmann

1959 war ein denkwürdiges Jahr. Am 3.Februar stürzte Buddy Holly ab, und viele fragten sich, wie das weitergehen solle. Es war auch das Jahr einer großen Mannschaft. In einem dramatischen Endspiel bezwang Eintracht Frankfurt Kickers Offenbach 5:3 und wurde zum ersten und einzigen Mal deutscher Meister.

Tags darauf, am 29.Juni, säumten 300.000 begeisterte Menschen die Straßen Frankfurts. Noch heute gehört es zur hiesigen Allgemeinbildung, die Namen der Meistermannschaft aufsagen zu können. Und genau wie heute teilte sich die Gemeinde in zwei Lager: die Freunde der kreativen Zauberer und die Anhänger des proletarischen Kicker- Adels — „pomadige Schönspielerei“ gegen „Hauptsache gewonnen“. „Don Alfredo“ Pfaff, der intelligente Denker und Lenker des 59er Jahrgangs, bekennt ohne Neid: Was Bein und Möller im Mittelfeld bieten, „das ist Extraklasse“. Pfaff selbst hat damals mit dafür gesorgt, den deutschen Fußball vom Image zu befreien, er sei eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Bis heute hat sich die Eintracht an die 59er Vorgaben gehalten. Lieber wird sie nicht Meister, wie in den siebziger Jahren mit Grabowski, Hölzenbein, Nickel, Cha und Pezzey, als „deutschen Panzerfußball“ zu präsentieren. Es ist wohl mehr als ein Zufall, daß in der Stadt mit dem ersten multikulturellen Dezernenten ein gänzlich undeutscher Fußball gespielt wird. Faustschläge auf der Hauptversammlung, Manager auf „Dauerurlaub“, Spieler bezichtigen das Präsidium der Unfähigkeit — nirgendwo wird so „ialienisch“ gestritten wie bei der Eintracht. Trainer Stepanovic sieht's, wie es ist: „Muß ich mal sage, sind erwachsene Leut', können Meinung sagen.“

Oder auf dem Rasen um 15.30 Uhr. Von drei Gegnern bedrängt den „tödlichen Paß“ spielen, den Torwart austanzen und den Ball mit einem gefühlvollen Heber an die Latte setzen — nirgendwo wird „brasilianischer“ gekickt als in Frankfurt. Ganz im Sinne von Stepi: „Samstag ist für mich wie Feiertag, da wird Fest gefeiert.“ Zaubern bis zum Fünfmeterraum, sich an der „Leichtigkeit des Spiels“ berauschen — aber vergessen, das Leder ins Tor zu schieben. „Macht nichts, nächstes Mal besser machen“, lautet hier die serbo-hessische Devise. Zusammen mit der Geschmeidigkeit eines Anthony Yeboah ist Eintracht Frankfurt ein wirklich zutiefst undeutscher Meisterschaftsanwärter. Vielleicht ist es diese Erkenntnis, daß nach Jahren politischer Lähmung der Frankfurter ASTA aus seinem Dornröschenschlaf erwacht ist. Denn vorgestern gegen 12.30 Uhr trat eine Abordnung aus dem Studentenhaus, um ein überdimensionales Transparent aufzuhängen. „Samstag, 15.30 Uhr — Eintracht live! — auf dem Campus“ war darauf in den revolutionären Farben schwarz-rot zu lesen. Von der Ästhetik des Widerstands zur Ästhetisierung des Fußballs — „das ist ja wirklich ober-hip“, so ein Augenzeuge.

Ob die Eintracht „Fußball aus dem Jahr 2000“ spielt, wird man in acht Jahren beurteilen können — derzeit erinnert ihr Spiel an die frühen siebziger Jahre, die bisher einzige visionäre Phase des deutschen Fußballs. Ein deutscher Meister aus Frankfurt würde, analog zu Willy Brandt vor 23 Jahren für die Siebziger, für die Neunziger bedeuten: „mehr Fußballspielen wagen!“

Aus Stuttgart Peter Unfried

„Ich bin stolz auf diese Mannschaft“, wird der Stuttgarter Fußballehrer Christoph Daum heute abend so gegen 17.15 Uhr im Leverkusener Haberland-Stadion sagen und damit ohne Zweifel richtig liegen. Auch wenn er dabei gucken mag, als habe er gerade in eine besonders grüne Zitrone gebissen: Der VfB Stuttgart als Bundesligadritter oder gar Vizemeister, das ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. Und warum nicht Meister? Weil zum Meisterwerden eben neben anderen Tugenden, wie der zum Cholerischen tendierende Superschnauzer selbst herausgefunden hat, „Wille, Disziplin und eben Nerven“ gehören. Vor allem aber das gewisse Etwas. Letzteres fehlt ganz und Vorletzteres pflegt den schwäbischen Vorzeigekickern regelmäßig abhanden zu kommen. „Auf Dauer“, hat der alte VfBler Horstle Köppel einmal gemutmaßt, „wird sich der VfB als echter und härtester Konkurrent der Bayern etablieren und auch wieder die Hand nach dem Meistertitel ausstrecken.“ Nur darum geht es: Es den Bayern, den Gehassten, den bewunderten zu zeigen. Frankfurt? Dortmund? Habenichtse, mit denen man um den Cannstatter Vasn wenig am Hut hat, wo die einen seit 1949, die anderen seit 1963 nicht mehr die Meisterschale kosen durften. In Stuttgart ist es gerade acht Jährchen her, daß Ohlicher traf, und der Rathausplatz überquoll vor glückstrunkenen Schwaben. Helmut Benthaus, damals Trainer, hält es noch heute „für ein Phänomen, was diese eine Meisterschaft bedeutet für die Stadt und für die Menschen.“ Endlich war der Minderwertigkeitskomplex für ein paar Sommertage weg, nur um kurz darauf zurückzukehren.

Um etwas dagegen zu tun, und weil die Bayern eben auch einen haben, hat man den Hoeneß geholt, den jüngeren, die Zweitausgabe sozusagen. Doch erst die geballte Überredungskraft des Rheinländers Daum ließ die latente Überzeugung von der eigenen Unfähigkeit geringer werden. Ganz überwunden ist sie aber nie. Matthias Sammer etwa hat nach dem 1:1 vom letzten Samstag flugs vermutet: „Hätten wir gegen Wattenscheid gewonnen, würden wir möglicherweise in Leverkusen verlieren!.“ Warum? Egal! Jedenfalls hat auch Daum im Laufe der Woche den Seinen klar gemacht, daß ein Sieg gegen die Wattenscheider nichts gebracht hätte. Der VfB, so errechnete der eigenwillige Mathematiker, hätte in Leverkusen so oder so gewinnen müssen. Nur wäre er so vielleicht Meister und so eben nicht. Dann hat der jüngere Hoeneß die verworrene Situation dadurch zu entkrampfen versucht, daß er feststellte, alle Rechnereien seien eh nur Sandkastenspiele. Den sonst so findigen Fritz Walter verwirrte das derart, daß er auf die zugegebenermaßen nicht ganz einfache Frage, „was wäre, wenn sie ihre eigene Frau wären?“ antwortete: „Dann wäre ich stolz auf meinen Mann!“ So nervös war das kleine Fritzle, daß es völlig übersah, daß, wer seine eigene Frau ist, nicht auch deren Mann sein kann!

Andererseits, auch wenn man am Ende die Nerven etwas verlor, gesetzt den Fall, Fritz wäre sein eigener Mann, er könnte tatsächlich stolz auf sich oder ihn sein. Denn Fritz wird — das ist ziemlich sicher — Torschützenkönig. Und der VfB wird Zweiter oder Dritter. Und damit liegt er meilenweit vor den Großkopferten aus München. Was will man mehr?