Milliardenschweres Imperium

Drei Jahre nach dem subventionierten Zukauf der Rüstungsschmiede MBB hat der größte deutsche Industriekonzern Daimler-Benz eine neue Struktur/ Gewinn bringen die Autos, Verluste die Rüstung  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

An Selbstbewußtsein hat es im Hause Mercedes-Benz noch nie gemangelt. Schließlich haben es die Stuttgarter Autobauer mit dem „guten Stern auf allen Straßen“ weltweit zum Inbegriff deutscher Wertarbeit, schwäbischer Tüchtigkeit und zum Symbol für Aufstieg, Wohlstand und Ansehen gebracht; während die Konzernmutter Daimler-Benz AG den Stuttgarter Autobauer zum international agierenden Technologiekonzern aufwertete. Vor drei Jahren wurde das Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsunternehmen Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) in das Imperium eingefügt.

1989 segnete die Hauptversammlung der alten Daimler-Benz AG die milliardenschwere neue Holding ab, schließlich setzte sich der damalige Wirtschaftsminister Haussmann (FDP) über das negative Votum des Bundeskartellamts zu der Fusion hinweg. Als Hochzeitsgeschenk legte die Bundesregierung noch fünf Milliarden Mark drauf — für die Airbus-Altlasten und Wechselkursabsicherungen.

Den Wettbewerbshütern — und mit ihnen zahlreichen KritikerInnen aus Parteien, Verbänden und Wirtschaftsorganisationen — war die geballte Macht des neuen Riesen allerdings sauer aufgestoßen. Der neue Konzern, so der Vorwurf, würde praktisch alle bedeutenden Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtprojekte kontrollieren; zudem habe ein wirtschaftlicher Koloß dieser Größe eine politische Dimension — was nicht zuletzt die ministerliche Fusionserlaubnis bewies.

Was für Daimler-Benz gut sei, müsse auch gut sein für die Republik — das arrogante Selbstverständnis hat die Konzernspitze bis heute nicht abgelegt. Ganz selbstverständlich werden von der Bonner Regierung Hilfen für den Fall gefordert, daß der Wundervogel Jäger 90 der Münchner Daimlertochter Deutsche Aerospace (Dasa) in den Abrüstungsturbulenzen abstürzt. Daß er verteidigungspolitisch längst nicht mehr gebraucht wird, stößt in München und Stuttgart auf taube Ohren.

Trotz des milliardenschweren Zukaufs von Luft- und Raumfahrttechnik ist Mercedes für den Daimler- Konzern die wichtigste Tochter geblieben: Die Autobauer fahren noch immer fast 70 Prozent des Gesamtumsatzes im vor vier Jahren zusammengekauften Technologie-Imperium ein; nur jede fünfte Mark des Konzernüberschusses kommt von einer der anderen drei Töchter Dasa, AEG oder debis-Systemhaus. Auch die Beschäftigten sind stolz auf ihren Betrieb; wer etwas auf sich hält, fährt einen Jahreswagen der eigenen Marke, selbstverständlich verbilligt und steuerbegünstigt.

Daß sich neuerdings auf dem Parkplatz des Stammwerks in Stuttgart-Untertürkheim immer mehr Autos der japanischen Konkurrenz unter die polierten Mercedes- Limousinen mischen, will der Konzernzentrale allerdings gar nicht schmecken. Am liebsten hätte die Werksleitung einen Bannstrahl gegen die FahrerInnen japanischer Marken verhängt — um die heimische Wirtschaft zu unterstützten. Doch ein Parkverbot auf dem Werksgelände wäre dann doch zu peinlich gewesen. Also ließ Mercedes-Vorstandschef Werner Niefer die geplante Aktion wieder abblasen. „Wir diskriminieren keine Kunden anderer Marken“, sagte „Mister Mercedes“. Den Feind haben die Mercedes-Manager, wie die übrigen deutschen Autobosse auch, längst im Reich Nippons ausgemacht. Voller Neid blicken sie auf die japanischen Produktionsmethoden, mit denen die Konkurrenz aus Fernost im Schnitt ein Drittel kostengünstiger fährt als in den elf inländischen Mercedes- Werken. Und seit die Japaner mit ihren neuen Spitzenmodellen auch noch in die Nobelklasse der Luxuslimousinen vorgestoßen sind, ist es mit der schwäbischen Gemütlichkeit endgültig vorbei.

Der nicht gerade zimperliche Niefer wird sanft aufs Altenteil geschoben, ein rigider Sparkurs eingeleitet, mit dem die Kosten um 10 bis 12 Prozent gesenkt werden sollen. 20.000 Beschäftigte, mahnte Daimler-Vorstandsvorsitzender Edzard Reuter, seien in der Pkw-Sparte „zuviel an Bord“. Reuter sorgt sich um das Herzstück des Konzerns, denn Mercedes sieht schweren Zeiten entgegen: Die Autosparte, die fast 90 Prozent aller Gewinne beisteuert, steht vor einer Absatzkrise.

Wenn es Mercedes schlecht geht, hat also der ganze Konzern Probleme. Und mit solchen müssen sich die Mega-Manager im Möhringer Headquarter ohnehin genug herumplagen. Kein Wort hat dort in den letzten drei Jahren wohl so oft die Runde gemacht wie Perestrojka — laut Reuter der „kreative Umbau“ der schwäbischen Autoschmiede zum, wie er gebetsmühlenartig wiederholt, „internationalen Technologiekonzern“.

Der Umbau dürfte weiterhin viel Geld kosten. Viele der beschworenen Synergie-Effekte greifen nicht, die interne Bündelung vieler Aktivitäten zu strategischen Einheiten steht noch aus, ganz zu schweigen von den internationalen Bündnissen, die Daimler etwa auf dem Gebiet der Satellitenkommunikation oder beim Flugzeug- und Triebwerksbau anstrebt. Als schwere Hypotheken belasten die beiden Daimler-Unternehmen AEG und Dasa nach wie vor nicht nur die Bilanz. Und Reuters Strategie des „integrierten Technologiekonzerns“, der Daimler sicher ins nächste Jahrtausend tragen soll, bleibt eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Die führende Stellung im Automobilbau kann schnell verloren gehen, wenn, wie die mit Spott und Häme überschütteten tonnenschweren Luxuskreuzer der S-Klasse zeigen, geradezu diametral zu ökologischen Markterfordernissen entwickelt und produziert wird.

Und wer sorgt in Zeiten gesättigter Automärkte und flauer Konjunktur für den Lastenausgleich? Die Rüstungstechnik jedenfalls nicht, und ob man in der internationalen Luftfahrt noch im Quartett der Aerospace-Giganten mitspielen kann, wenn der Staat ganz die Subventionen für den Flugzeugbau gestrichen hat, steht in den Sternen.

Diese Probleme allerdings schwächen den Konzern kaum. Finanziell ist Daimler bärenstark geblieben. Auch wenn die Zukäufe und die gewaltigen Umstrukturierungen immense Summen gekostet haben, konnte sich das Unternehmen stets an der Spitzenposition der bundesdeutschen Industrieunternehmen halten. 1,8 Milliarden Mark Gewinn warf der Konzern im Geschäftsjahr 1990 ab. Der Weltumsatz wird in diesem Jahr vorraussichtlich erstmals über 100 Milliarden Mark liegen, mit rund 18 Milliarden Mark Eigenkapital hat der Konzern gigantische Reichtümer aufgetürmt.

Wenn am kommenden Dienstag Edzard Reuter wieder zur Daimler- Performance einlädt, wird er eine neue Rekordbilanz präsentieren können: Der Konzernumsatz stieg um 11 Prozent auf 94,7 Milliarden Mark; Der Gewinn kletterte um 8 Prozent auf 1,942 Millarden.

Doch selbst die beste Bilanzkosmetik kann nicht verdecken, daß der Wurm in vielen Bereichen steckt. Der heutige Bahn-Chef Heinz Dürr, der fast so schön reden kann wie sein Ex-Chef Reuter, hat seinem Nachfolger Ernst Georg Stöckl mit dem kriselnden Elektrokonzern AEG das Sorgenkind des Imperiums hinterlassen. Der AEG-Verlust — im vorletzten Jahr 202 Millionen Mark — wäre noch höher ausgefallen, hätte man nicht der Dasa die ebenfalls marode Telefunken Systemtechnik zugeschoben. Die AEG muß wieder einmal saniert werden. Das schwere Erbe wird firmenintern zum großen Teil Dürr angelastet.

Hatte der frühere AEG-Chef noch erklärt, der Schreibmaschinenhersteller AEG-Olympia stehe nicht zur Disposition, beschloß Daimler, sich ganz aus der Bürokommunikation zurückzuziehen — das Aus für den Produktionsstandort Wilhelmshaven. Auch die Sparten Automatisierung und Haustechnik kränkeln vor sich hin — bei letzterer scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann sie von der Geschäftsleitung ebenfalls abgestoßen wird. Die Hoffnungen ruhen nun auf dem Eisenbahnbau, für den sich AEG im ostdeutschen Hennigsdorf einkaufte. Doch auch hier versprechen ExpertInnen wenig Erfolg gegen die mächtigeren Konkurrenten Siemens und ABB. Böse Zungen behaupten, in ein paar Jahren werde von AEG nicht viel mehr als die berühmten Briefsortieranlagen übrigbleiben.

Mit Mitsubishi zum „Global Player“

Mit ganz anderen Problemen schlägt sich derweil Dasa-Chef Jürgen Schrempp herum. Die Münchner leiden unter einem drastischen Auftragsschwund im Rüstungsgeschäft. Schrempp muß einen schnellen Kurswechsel von der militärischen zur zivilen Produktion schaffen, wenn er aus den roten Zahlen herauskommen will. Auch die Wachstumschancen im Space-Business stehen schlecht: Die Raumfahrt-Prestigeprojekte Hermes und Columbus sind vorerst aufgeschoben, weitere Einschnitte im europäischen Weltraumprogramm bereits programmiert. Die Dasa stehe vor ihren „schwierigsten Jahren“, hat Schrempp erkannt.

Dabei kann er froh sein, daß die Dasa ihre neue Struktur gefunden hat. Nach zähen Verhandlungen wurden MBB, MTU und das Unternehmen der widerspenstigen Dornier-Erben in der Dasa aufgelöst und die Geschäftsbereiche Luftfahrt, Raumfahrt, Verteidigungstechnik, zivile Systeme und Antriebe neu aufgeteilt. Nun schickt sich die Dasa an, durch die Kooperation mit dem japanischen Mischkonzern Mitsubishi, dem US-Partner Pratt& Whitney und der niederländischen Fokker im Bereich Luftfahrt und Antriebe zum Global Player zu werden. Doch ExpertInnen sind skeptisch: Noch sei die Dasa ein Benjamin in einer Branche, in der Fusionen auf der Tagesordnung bleiben werden. Dennoch hat Daimler noch nicht genug. Auch im Mikroelektronikbereich will der Konzern mitmischen. Aus den Halbleiter-Aktivitäten der Dasa und AEG soll eine fünfte Daimler-Gesellschaft gegründet werden. Ein Coup ist Dasa-Boß Schrempp und AEG-Chef Stöckl bereits geglückt — der Einstieg in das viertgrößte Computer- Softwarehaus Cap Gemini Sogeti.

Die größten Hoffnungen aber werden in der Daimler-Zentrale in das Outsourcing gesetzt — die Abwicklung komplexer EDV-Aufgaben für andere Unternehmen. Hier agiert die Daimler-Tochter debis- Systemhaus bereits erfolgreich.

Nicht wenige KritikerInnen der Stuttgarter Sucht nach internationaler Stärke hielten es vor drei Jahren keineswegs für ausgemacht, daß die erfolgsverwöhnten Autobauer sich in den anderen Geschäftssparten auch zurechtfinden würden. Allen Unkenrufen zum Trotz scheint es dem Führungstroß dennoch gelungen zu sein, all das zusammenzufügen, was nicht zusammenpaßt.

Eierkocher und Waffensysteme

Vom Eierkocher bis zum kompletten Waffensystem reicht die Produktpalette des Misch-Multis; der Gesamtkonzern mit seinen weltweit rund 375.000 Beschäftigten verfügt über Fertigungsstätten, Montagewerke, Niederlassungen und Handelsgesellchaften in mehr Ländern, als in der UNO mit ihren 159 Migliedern vertreten sind.

Daimler-Benz, so die Philosphie des Hauses, muß wachsen. Der Aufsichtsrat des Mammutkonzerns, in der die Deutsche Bank als Hauptaktionär das Wort führt, hat Edzard Reuters Vertrag bis Ende 1995 verlängert. Der Chefdenker, der Zahlen gar nicht liebt und statt dessen zum Philosophieren neigt, gilt als vorausschauender Stratege. Doch angesichts der Irrfahrt seines Gemischtwarenimperiums ist Reuter dünnhäutiger geworden. Aber er bleibt Optimist: „Der Stern auf dem Konzernhochhaus“, hatte Reuter auf der letztjährigen Bilanzperformance gedeutet, „dreht sich heute wie gestern und wird sich auch morgen noch drehen.“