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Anklage gegen Honecker erhoben

Die Berliner Staatsanwaltschaft klagt den Ex-Partei- und Staatschef sowie fünf weitere führende SED-Politiker wegen der tödlichen Schüsse an der Mauer an/ Neuer Prozeß gegen Erich Mielke  ■ Aus Berlin CC Malzahn

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat gestern Anklage gegen Erich Honecker wegen der tödlichen Schüsse an der Mauer erhoben. Neben dem 79jährigen früheren Staats- und Parteichef sollen sich auch die fünf weiteren ehemaligen Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vor Gericht verantworten.

Bei den übrigen Angeklagten handelt es sich um Ex-Stasi-Chef Erich Mielke (84), den früheren Vorsitzenden des Ministerrats Willi Stoph (77), den ehemaligen Verteidigungsminister Heinz Keßler (72), das damalige ZK-Mitglied Fritz Streelitz (65) sowie den ehemaligen Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung Suhl, Hans Albrecht (72). Alle Beschuldigten sitzen bereits in Untersuchungshaft — bis auf den nach Moskau geflohenen Honecker und Hans Albrecht, dem das Gericht Haftverschonung gewährte.

Einzelheiten zur Anklage will die Berliner Justizsenatorin Limbach (SPD) erst mitteilen, wenn die Beschuldigten oder deren Anwälte die mehrere hundert Seiten dicke Akte erhalten haben. Die Fertigstellung der Anklageschrift gegen Honecker hat fast zwei Jahre gedauert, sehr zum Verdruß des Bonner Justizministeriums. Die Staatsanwaltschaft hatte lange darauf gehofft, in den SED- und Militärarchiven einen förmlichen Schießbefehl zu finden, den Honecker unterzeichnet hatte. Doch eine schriftliche Order, in der Honecker befiehlt, Flüchtlinge zu erschießen, gibt es offenbar nicht. Die Anklage stützt sich im wesentlichen auf Protokollnotizen einer Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates vom 3. Mai 1974.

Honecker forderte damals, an der Grenze rücksichtslos Gebrauch von der Waffe zu machen, da Republikflucht ein schweres Vergehen sei. Gleichzeitig setzte er sich dafür ein, Todesschützen zu belobigen. Die fünf übrigen Mitglieder stimmten dem Antrag von Honecker einstimmig zu. Die Äußerungen des SED- Parteivorsitzenden wurden während der Sitzung, die in Strausberg bei Berlin stattfand, mitstenographiert.

Ähnliches hat Honecker schon im Jahre 1961 von sich gegeben. Er wurde damals von Walter Ulbricht beauftragt, den Mauerbau zu organisieren — ein Job, auf den Honecker noch bis heute stolz ist, weil er glaubt, damit den dritten Weltkrieg verhindert zu haben.

Als weiteren Beweis für den Schießbefehl führt die Staatsanwaltschaft das im Jahre 1982 von der Volkskammer gebilligte Grenzgesetz an. An der Mauer wurden etwa 200 Menschen bei Fluchtversuchen erschossen. Diejenigen Verfahren gegen Mauerschützen, die zur Zeit vor Gericht laufen oder bereits abgeschlossen sind, zieht die Staatsanwaltschaft nun auch bei ihrer jüngsten Anklage gegen Honecker und Co. heran.

Erste Anklage: Verrat am Sozialismus

Honecker wurde bereits im Dezember 1989 vom damaligen Generalstaatsanwalt der DDR angeklagt. Damals wurden ihm aber nicht die Toten an der Mauer, sondern Verrat am Sozialismus vorgeworfen. Die Anklage basierte auf einem Paragraphen, der die „Veruntreuung sozialistischen Eigentums“ unter Strafe stellte. Am 29. Januar 1990 wurde Honecker tatsächlich festgenommen, als er ein Krankenhaus nach einer Nierenkrebsoperation verließ. Doch der Ex-Staatschef blieb nicht lange hinter Gittern. Einen Haftbefehl wollte das Ostberliner Stadtgericht nicht erlassen, „weil der Gesundheitszustand des Beschuldigten einer Inhaftierung entgegensteht“.

Erst nach der Wiedervereinigung im Oktober 1990 wurde eine neue Anklageschrift aufgesetzt, in der der Schießbefehl die zentrale Rolle spielte. Wenig später wurde Haftbefehl gegen Honecker erlassen — er konnte aber nicht vollstreckt werden, weil sich der Kommunist unter sowjetischem Schutz in einer Militärklinik bei Potsdam aufhielt. Im März 1991 floh Honecker mit seiner Frau Margot dann nach Moskau. Seit dem Sommer des vergangenen Jahres halten sich die beiden in der chilenischen Botschaft auf.

Während das Ehepaar in Moskau fieberhaft nach Möglichkeiten suchte, sich nach Nordkorea oder Chile abzusetzen, wurde die Liste der Beschuldigungen gegen Honecker in Berlin immer länger. Auch Stasi-Morde, Anstiftung zur Rechtsbeugung, die privilegierte Versorgung der SED-Prominenz in Wandlitz werden ihm zur Last gelegt. Experten halten aber nur die Schießbefehl-Anklage für relevant — und selbst hier ist eine Verurteilung keineswegs sicher. Die Verteidigung Honeckers bringt in diesem Zusammenhang zwei Argumente: Erstens hätten die kleinen Grenzsoldaten gar nicht wissen können, was Honecker am 3. Mai in Strausberg erzählt hat. Von daher sei die Äußerung für ihr Tatmotiv auch nicht relevant. Und zweitens hätte es, wenn Honecker den Mauerbau nicht organisiert hätte, weit mehr als 200 Tote gegeben — weil die Russen dann aktiv geworden wären.

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