: Das Lächeln der Architektur
■ Am Findorffer Weidedamm wächst aus Kitsch und guten Ideen eine vielgestaltige und freundliche Siedlung
Noch immer kann man an Frühlingsabenden junge Familien beobachten, die in Findorff durch tiefen Bausand streifen, um sich eine Wohnung auszusuchen, womöglich diejenige, in die sie ihre Bausparverträge investieren werden. Sie gehören zu den Glücklichen, die sich das „Wohnen in der ersten Reihe“, wie es ein Werbeschild verspricht, leisten können: ein Wohnen am Torfkanal, mit Blick auf den Bürgerpark.
Am Weidedamm ist in den letzten Jahren eine geschlossene Siedlung entstanden, bei der die
Gegen den nächsten Bauabschnitt wehren sich die Schrebergärtner
allzu bekannten Fehler des Siedlungsbaus vermieden werden sollten. So haben die Planer versucht, zumindest in Teilen eine Blockrandbebauung durchzusetzen. Auch sind die ziegelroten Häuser kleinteilig gestaltet. Öde Rasenflächen und architektonische Grundmuster in steter Wiederholung wurden vermieden. Vielmehr bestimmen private Gärten, schmale öffentliche Grünzüge und eine vielfältige, manchmal geradezu spielerische Architektur das Bild.
Mt Absicht wurden die Straßen eng belassen, um einen geschlossenen Straßenraum zu erzielen. Mit Absicht wurden vorgefundene Grünzonen in die Planung einbezogen, wie die Sträucher und Hecken am Blumenweg. Voraussetzung für die Vielfalt der Siedlung war, daß verschiedene Architekten für verschiedene Baugesellschaften tätig waren. Kein Architekt bekam die Gelegenheit, eine vermeintliche Idealstadt zu formen; Differenz blieb bei aller angestrebten Einheit möglich.
Das „Bauatelier Nord“ hat an der Heinrich-Böll-Straße Reihenhäuser und an der Gustav-Heinemann-Straße dreigeschossige Mietshäuser entworfen. Sie wirken fast überladen mit ihren spitzen Erkern, ihren breiten weißen Profilierungen und den heruntergezogenen Pfannendächern. Spätestens hier ließe sich der Kitsch entdecken, wollte man mit dem strengen Blick des Kunsthistorikers die Architektur werten — doch die Bewohner schätzen den Formenreichtum. Sie setzen ihn fort, indem sie weiße Landhausbänke auf ihre Veranden stellen und naturnahe Blumenbeete anlegen. Offenbar entspricht eine vielfältige Architektur mehr den Bedürfnissen von Bewohnern und Passanten als eine esoterische Gestaltung, die Eingang in Fachzeitschriften findet. Kunstobjekte sucht man am Weidedamm vergeblich.
Zu den herausragenden, aber dennoch grundsoliden Bauten des Weidedamm-Viertels zählt eine Wohnzeile des Architektenbüros Goldapp & Klumpp (wie es damals noch hieß), die an der Gustav-Heinemann-Straße errichtet wurde. Die Formensprache der blauroten Zeile ist präzise Und verzichtet auf alle Effekte. Im Gegensatz zu fast allen Neubauten dieser Tage sind aber sogar die Briefkästen und Haustüren sorgfältig gestaltet.
Die Architekten Köhl & Zickerow haben an der HeinrichBöll-Straße Reihenhäuser errichtet, die sich leider von der Straße abwenden. Sie sind, weil die Baugesellschaft es so wollte, noch nach alter Zeilenmanier gestaffelt. Ihre schlichte, aber gekonnt proportionierte Architektur ist geradezu in der Lage, auch weniger gelungene Nachbarbauten in eine Gesamtordnung hineinzuzwingen. Denn keineswegs alle Bauten, die in den letzten zehn Jahren am Weidedamm entstanden sind, lassen sich als gute Architektur bezeichnen.
Nur das Gesamtbild, der Wechsel zwischen wenigen wohlgelungenen und zahlreichen eher durchschnittlichen Bauten, vermittelt den zukünftigen Bewohnern das Gefühl, daß hier ein angenehmes Wohnen in einer angenehmen Nachbarschaft möglich sein wird. Die Architektur trifft offenbar genau die Mitte, die sie bei möglichst vielen Menschen akzeptabel macht.
Natürlich sind keineswegs alle Chancen wahrgenommen worden. So fehlen, bisher zumindest, die Läden und die Eckkneipen, doch in der Heinrich-Böll-Straße sollen einmal drei Läden einziehen, darunter ein Cafe.
Auch fehlt der Siedlung ein wenig die Ordnung, die Mitte. Die Zahl der Geschosse steigt zwar zum Blumenweg hin an, doch erkennt man keine räumliche Differenzierung, die diese Steigerung sinnvoll macht. Hinzu kommt, daß die große planerische Chance, den Torfkanal in die Siedlung hineinzuführen, nicht wahrgenommen wurde.
Dennoch: Wenn die Richtung eingehalten wird, wenn in dieser Form nicht nur teure Appartements, sondern auch Sozialwohnungen entstehen, dann kann die Behebung der Wohnungsnot mit einer Bereicherung des Stadtbildes verbunden werden.
Im bisher unbebauten Dreieck zwischen Torfkanal und Bahnlinie, dort wo sich heute noch Schrebergärten befinden, soll die Architektur des Weidedamms fortgesetzt werden — auch wenn sich die Schrebergärtner hartnäckig wehren. Dort, so die Planer, werde vor allem Wert auf ökologisch angepaßtes Bauen gelegt. So sollen Hecken und Bäume weitestmöglich erhalten bleiben. Auch soll anfallendes Regenwasser nicht mehr in Kanäle abgeführt, sondern über offene Gräben in Flachwasserseen geleitet werden. Dort soll es dann langsam versickern. Im Neubaugebiet Dresdener Straße, ebenfalls am Torfkanal gelegen, befinden sich bereits einige Reihenhaus-Zeilen kurz vor der Fertigstellung, Zeilen, die sich um einen solchen Flachwassersee gruppieren.
Auch wenn zwischen Hemmstraße und Weidedamm nicht die ganz großen architektonischen Würfe zu finden sind: Die Ansätze sind gut, sie müssen nur weitergedacht werden. Vielleicht wird das zukünftige, Weidedamm III genannte Bauareal einst genauso liebenswert sein wie die Altbauzeilen im Ostertor oder im Gete-Viertel. Nils Aschenbeck
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