: Irgendwie links und gegen irgendwas
■ Der Bund der Antifaschisten diskutierte in der HUB verzweifelt um die Bedeutung seines Namens
Berlin. Antifaschismus — Mythos oder Programm? Diese Frage suchte am Samstag abend der »Bund der Antifaschisten« auf einer Diskussionsveranstaltung in der Humboldt-Universität zu beantworten. Ich bereite mich gerne auf Diskussionsveranstaltungen vor und las deshalb in Meyers Lexikon nach. Eine genaue Definition findet sich dort zwar nicht, doch immerhin tauchen einige Stichworte auf: anti-demokratischer, -liberaler, -kommunistischer Einparteienstaat. Auf einer national- autoritären Idee beruhend.
Ich frage mich, warum Gegner des Faschismus sich mit einem Anti schmücken, wo doch ganz offensichtlich der Faschismus ein Anti ist. Nach Meyers Definition wäre ein Antifaschist ein liberaler Demokrat und somit Genscher die denkbar reinste Inkarnation des Antifaschisten.
Versuchen wir's noch mal. Faschismus ist kapitalistisch (»Der Kapitalismus war eine der Wurzeln des Faschismus«, Volkmar Wörl), ausländerfeindlich (»Das Ausländergesetz der Bundesrepublik ist in weiten Teilen identisch mit der Ausländer- Polizeiverordnung von 1938«, Heidi Bischoff-Pflanz) und antikommunistisch (»Antifaschisten galten in der alten BRD als ‘verkappte Kommunisten‚«, Hilde Schramm). Demnach sind Antifaschisten ausländerfreundliche Kommunisten, und Genscher ist aus dem Schneider. Bedauerlicherweise kollidiert dies mit Meyer. Honecker mag ein ausländerfreundlicher Kommunist gewesen sein, aber soweit ich weiß, hat er sich nicht gerade als heroischer Kämpfer gegen den autoritären Einparteienstaat hervorgetan.
Es ist verwirrend. Noch verwirrender ist, daß die auf dem Podium auch nicht weiterwissen. Dabei gehören sie zu dem im Mai 1990 von Ost- und Westdeutschen gegründeten »Bund der Antifaschisten«. Ich finde es ja merkwürdig, einen Bund oder irgendwas zu gründen, wenn nicht mal die Gründer wissen, was dieses irgendwas ist. Doch, wie Heinrich Fink am Samstag in der Humboldt-Universität erläuterte, dazu sind wir ja alle hier. Um mit ihnen zu diskutieren, was Antifaschismus heute ist.
Auf dem Podium: Kurt Goldstein, ehemaliger Häftling in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald, Kommunist, Ex-DDR; Stefan Heym, Schriftsteller, Ex- DDR; Heinrich Fink, Direktor der Humboldt-Universität, Moderator der Diskussion, Ex-DDR; Volkmar Wörl, Bandarbeiter bei VW, Sprecher der VVN des Bundes der Antifaschisten, Ex-BRD; Marion Seelig, Journalistin, Bürgerrechtlerin, parteilose Abgeordnete, Ex-DDR; Heidi Bischoff-Pflanz, ehemalige AL-Abgeordnete, Vorsitzende von SOS Rassismus Berlin, Ex-BRD; und Hilde Schramm, AL, Erziehungswissenschaftlerin, Ex-BRD.
Kurt Goldsteins Vorschlag, Antifaschismus als »Humanismus und Menschlichkeit in Aktion« zu definieren, fand Wörl irgendwie zu christlich und stellte klar, daß Antifaschismus »irgendwie links ist, was mit Bündnispolitik zu tun hat und mit dem Kampf gegen einen gemeinsamen Feind, der rechts steht«. Applaus.
Das war doch irgendwie deutlich, aber Seelig besteht darauf, alles wieder durcheinanderzubringen: links sein sei zuwenig, man müsse bedenken, daß die Kommunisten zum Teil dieselben Tugenden hochgehalten haben wie die Faschisten: Fleiß, Ordnung, Disziplin und Gehorsam gegenüber der Autorität. Sie hat Pünktlichkeit vergessen. Kein Applaus.
Stühle werden gerückt und Hälse gereckt: Stefan Heym will was sagen. Bis zu diesem Moment war nicht viel von ihm zu sehen, da nur sein Kopf über den Podiumsrand lugte und er denselben in den Händen vergraben hatte. Jetzt nimmt er die Hände runter und sagt: »Antifaschismus ist heutzutage ein Pseudonym für Leute, die gegen irgend etwas sind, nämlich gegen das, was über die DDR hereingebrochen ist. Und das ist nicht Faschismus, sondern die gute alte Bourgeoisie. Wir brauchen eine gemeinsame Haltung gegen eine gemeinsame Bedrohung. Aber was die Bedrohung ist, darüber müssen wir uns unterhalten.«
Was denn, das ist alles? Und was ist mit den oben erwähnten Tugenden? Und der Tatsache, daß die Antifaschisten im Osten — wenn auch nicht so massiv wie im Westen — zuhauf den »Republikanern« zulaufen? Fremdenfeindlichkeit fällt ins Ressort Soziales und ist somit Frauensache. Bischoff-Pflanz ergreift das Wort: Die Menschen hätten die Reps gewählt, weil das parlamentarische System keine Alternativen biete: »Welche der drei großen demokratischen Parteien kümmert sich denn um die Vietnamesen und die Mosambikaner?« Verblüfftes Schweigen im Saal.
Na gut. Hier darf schließlich jeder seine Meinung sagen. Die Zuhörer melden sich zu Wort. Schließlich muß Heyms Sorge beschwichtigt werden, ohne ein Bündnis links von der CDU könne »Deutschland wieder in die Barbarei von 33« verfallen. Eine Zuhörerin hat eine Erleuchtung: Streik ist links. Der Streik der Gewerkschaft ÖTV habe es bewiesen — ein Bündnis links von der CDU existiere bereits. Heym lächelt erleichtert und fragt sich laut, wieso um Himmels willen er nicht selbst auf diese Idee gekommen sei.
Ich versuche meine Gedanken zu ordnen. Also streiken und ausländerfreundlich sein gleich Antifaschist. Auch wenn man es gern ein bißchen autoritär hat. Möglicherweise macht es auch nichts, wenn man nicht ganz so ausländerfreundlich ist. Genau, Streikende gleich Antifaschisten. Doch was tun mit streikenden »Republikaner«-Wählern? Mir schwirrt der Kopf.
Aber dann war alles ganz überflüssig. Auf dem Podium diskutiert man eine Namensänderung. Da geklärt ist, wo die Gefahr lauert, erscheint der Name »Antifaschisten« irgendwie pompös. Schließlich riskiert man — zumindest noch — nicht sein Leben, gibt man sich als Antikapitalist zu erkennen. Auch könnte das Wort irgendwie »diskreditiert« sein. Und schließlich, wie Heym richtig erkennt, braucht man »einen positiven Begriff, wenn man politisch etwas tun will.«
Vorschläge werden erbeten unter der Telefonnummer: (9) 20340298. Anja Seeliger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen