: Streikschürzen bleiben im Schrank
■ Auch Steinkühlers IG Metall hat die angepeilte Sechs vor dem Komma nicht geschafft. Die seit der Urabstimmung in der vergangenen Woche unter starken Beschuß ihrer Basis geratene ÖTV-Chefin ...
Streikschürzen bleiben im Schrank Auch Steinkühlers IG Metall hat die angepeilte Sechs vor dem Komma nicht geschafft. Die seit der Urabstimmung in der vergangenen Woche unter starken Beschuß ihrer Basis geratene ÖTV-Chefin WulfMathies dürfte der 5,4-Prozent-Abschluß bei Metall erleichtert haben. Die Metaller mußten mit der 21monatigen Laufzeit der Vereinbarung eine Kröte schlucken.
Nach 17 Stunden war der Durchbruch erzielt. Gestern morgen um halb eins, eine halbe Stunde nach Ablauf des Ultimatums der Industriegewerkschaft Metall, die für Montag den Beschluß über Urabstimmung und Streik für den Fall der Nichteinigung angedroht hatte, traten die Verhandlungsführer beider Seiten vor die Tür und verkündeten: Der diesjährige Kompromiß im Tarifkonflikt der Metallindustrie steht — gestreikt wird nicht. Damit ist die Tarifbewegung dieses Jahres gelaufen. Was jetzt noch aussteht, die Abschlüsse in der Druckindustrie und im Bauwesen, wird an den Eckdaten der Tarifkompromisse, wie sie im öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie gesetzt worden sind, nichts wesentliches ändern können.
Was die beiden Verhandlungsführer, Walter Riester von der IG Metall und Dieter Hundt vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall, vor der Presse verkündeten, löste angesichts der bis zuletzt weit auseinanderliegenden Positionen Überraschung aus. Mit 5,4 Prozent linearer Lohnerhöhung für dieses Jahr orientiert sich der Abschluß an der Vorlage durch den öffentlichen Dienst.
Arbeitszeitverkürzung teuer erkauft
Dies war allgemein erwartet worden, nachdem Gesamtmetall-Präsident Gottschol Ende letzter Woche zu erkennen gegeben hatte, daß die Arbeitgeber um diese Zahl wohl kaum herumkommen würden. Aber das Beiwerk ließ aufhorchen. Denn die Tarifparteien im Metallbereich sind andere Wege gegangen als die im öffentlichen Dienst. Nicht das Einfügen einer „sozialen Komponente“ ebnete den Weg zum Kompromiß, sondern die Verlängerung der Laufzeit des Tarifvertrages auf 21 Monate und die Vereinbarung eines Stufenplans bis Ende 1993.
Der Tarifvertrag, der nun den Tarifkommissionen von Gewerkschaft und Arbeitgebern zur Billigung vorliegt und auf die gesamte Metallwirtschaft übertragen werden soll, sieht folgende Einkommensveränderungen vor: Im ersten Jahr, vom 1.4.1992 bis 31.3.1993, werden die Löhne und Gehälter um 5,4 Prozent und die Sonderzulagen um 5,0 Prozent (ergibt 0,4 Prozent des Jahreseinkommens) angehoben. Das macht nach übereinstimmenden Berechnungen beider Parteien ein Gesamtvolumen von 5,8 Prozent aus — ein Betrag, der knapp über der Inflationsrate dieses Jahres liegen dürfte. Am 1.4.1993 werden die Einkommen um weitere 3 Prozent, die Sonderzulagen noch einmal um 5 Prozent erhöht. Gleichzeitig setzt die bereits früher tariflich vereinbarte Arbeitszeitverkürzung von 37 auf 36 Wochenstunden ein. Da diese mit vollem Lohnausgleich vereinbart ist, erhöhen sich die Stundenlöhne um weitere 2,8 Prozent — allerdings bei gleichbleibenden Monatsentgelten. Für die Auszubildenden wurden geringfügige Steigerungen von 50 bzw. 75 Mark vereinbart.
Die IG Metall gibt die für 1993 gefundene Regelung als Erfolg aus. Denn auf 12 Monate hochgerechnet ergebe sich ein Gesamtvolumen von 7,3 Prozent — wovon 4,5 Prozent auf die Erhöhung der Einkommen und Sonderzulagen entfallen und 2,8 Prozent auf die Arbeitszeitverkürzung. Und genau hierin unterscheiden sich die Interpretationen. Dieter Hundt von Gesamtmetall bezifferte die Kostenbelastung aufgrund der Arbeitszeitverkürzung, wenn man Rationalisierungspotentiale mitberücksichtige, auf 1,4 Prozent. In dieser unterschiedlichen Betrachtungsweise der Arbeitszeitverkürzung dürfte ein Teil des Kompromißspielraums für den Karlsruher Abschluß gelegen haben. Insgesamt wird mit dem Abschluß der tarifpolitische Trend aus den achtziger Jahren verlängert: Arbeitszeitverkürzung, die— wenn auch durch Rationalisierungseffekte vermindert — in Richtung auf eine Umverteilung der vorhandenen Arbeit wirkt, wird von den Gewerkschaften durch Verzicht auf ansonsten realisierbare Einkommenssteigerungen erkauft.
Ab 1994 haben Metaller „Tarifführerschaft“
Die zweite wichtige Kompromißlinie im Karlsruher Abschluß liegt in der Laufzeit. Während die Arbeitgeber die 21monatige Laufzeit positiv als längerfristig gesicherte Kalkulationsgrundlage für die Betriebe hervorheben, sprach der Verhandlungsführer der IG Metall, Riester, von einem Risiko für die Beschäftigten. Denn die Gewerkschaft muß befürchten, daß die für 1993 ausgehandelten Einkommensverbesserungen von nominal ca. 4,5 Prozent von der Inflation wieder aufgefressen werden, ohne daß sie darauf mit weiteren Lohnforderungen reagieren kann. Diese Befürchtung ist real, denn die Belastungen aufgrund der deutschen Einheit lassen kaum erwarten, daß die Inflationsrate von 1993 deutlich unter den Stand dieses Jahres fallen wird.
Die IG Metall hat in diesen sauren Apfel gebissen, weil sie ebenso wie die Arbeitgeber von Gesamtmetall ein Interesse daran hat, sich tarifpolitisch aus der Abhängigkeit vom öffentlichen Dienst zu befreien. Wegen der zeitlichen Abfolge der Laufzeiten hatte der öffentliche Dienst in den letzten Jahren regelmäßig die Daten für die Abschlüsse in den gewerblichen Bereichen der Wirtschaft gesetzt. Ab 1994 wird die Metallindustrie wieder wie in früheren Jahren die „Tarifführerschaft“ übernehmen — ein Umstand, der von beiden Seiten aus gegensätzlichen Interessen heraus angestrebt wird; während die IG Metall glaubt, ohne die Vorgaben aus dem öffentlichen Dienst bessere Abschlüsse durchsetzen zu können, bezeichnete Gesamtmetall-Chef Gottschol den 5,4-Prozent- Abschluß im öffentlichen Dienst als größten Fehler der diesjährigen Tarifbewegung. Der Kampf um die „tarifpolitische Wende“, die Gottschol immer wieder gefordert hat, wird also auf das Jahr 1994 vertagt. Martin Kempe
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