: Kurden feiern ihre ersten Wahlen
Von Wahlmüdigkeit war nichts zu verspüren: In feinstem Tuch und Volksfeststimmung drängeln sich die Menschen vor den Wahllokalen in Irakisch-Kurdistan/ Bagdad erklärt die Wahlen für illegal ■ Aus Salah Eddin Khalil Abied
Die Uhr zeigt wenige Sekunden vor Mitternacht. Auf beiden Seiten des Wahllokales Nummer 15 in der irakisch-kurdischen Stadt Salah Eddin stehen Frauen und Männer in einer langen Schlange. Die Männer haben ihren traditionellen kurdischen Anzug, den „Katt“, übergezogen. Die Frauen tragen ihre besten farbenfrohen Kleider unter ihren schwarzen Schleiern. Wenige Sekunden später, Punkt 00.00 Uhr, beginnt die Menge zu applaudieren.
Acht Uhr morgens: In seinem schwarzen amerikanischen Auto fährt einer der Kurden-Chefs, Masud Barsani, vor. Auch er möchte an diesem historischen Tag zu den früh aufstehenden Wählern gehören, wie er sagt. Es sind die ersten freien Wahlen Kurdistans. „Lange Jahre haben wir gekämpft und auf diesen Tag gewartet... Mein Vater ist für diesen Tag gefallen, und ich fühle, daß seine Seele unter uns ist“, erklärt Barsani. Sein Vater, der legendäre Mulla Mustafa, der die kurdische Front vor 40 Jahren angeführt hatte, gilt noch heute als Held in Kurdistan.
Kein unabhängiger Staat nach den Wahlen
Die irakische Zentralregierung hat schon vor den Wahlen verlauten lassen, daß die Wahlen im kurdischen Gebiet im Norden ihres Landes illegal sind. „Die Kurden sollen nicht mit solch albernem Spielzeug spielen“, ließ Bagdad verlauten. Barsani dagegen erklärt versöhnlich, daß die Wahlen nicht gegen die Einheit des Iraks gerichtet sind. „Wir wollen keinen unabhängigen kurdischen Staat. Die Wahlen sind ein Schritt, um die Einheit eines demokratischen Iraks zu schützen. Auch die Ablehnung der Wahlen durch die Nachbarstaaten Türkei und Iran bedauert Barsani. „Trotzdem, die Kurden haben wie alle Völker der Welt das Recht, ihre Führung und ihr Parlament frei und demokratisch zu wählen.“
Im Wahllokal gibt Barsani seine Stimme ab. Wie alle muß auch er dem zuständigen Beamten seinen Ausweis zeigen. Sein Name wird in eine Liste eingetragen. Dann taucht er seinen rechten Zeigefinger in ein bereitstehendes Tintenfaß. Der rosa gefärbte Finger läßt sich zumindest die nächsten vier Tage nicht abwaschen. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß einzelne den Versuch unternehmen, mehrmals ihre Stimme abzugeben. Im Anschluß an diese Prozedur werden Barsani zwei Wahlscheine überreicht.
Mit dem ersten wählt er eine Partei oder Liste. Auf dem zweiten sind die Bilder der vier Kandidaten für den zukünftigen ersten Mann Kurdistans gedruckt. Der Chef der „Demokratischen Partei Kurdistans“, Barsani selbst, Jalal Talabani von der „Patriotischen Front Kurdistans“, Mahmud Othman von der „Sozialistischen Partei“ und der Kandidat der prosaudischen islamistischen Bewegung, Mulla Otham, sind dort abgebildet.
Als die aussichtsreichsten Kandidaten gelten Barsani und Talabani, die die beiden größten kurdischen Organisationen im Irak vertreten. Der wichtigste Unterschied zwischen beiden: Talabani lehnt jegliche Verhandlungen mit dem Regime in Bagdad ab. Barsani hat dagegen Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Die Angst, zu spät zur Wahl zu kommen
Unter der ausgewählten Partei und unter einem der Bilder muß der Wähler einen Haken machen. Für den gebildeten Barsani kein Problem. Den vielen kurdischen Analphabeten, vor allem den Frauen, kann von einem Verwandten oder einem der Mitarbeiter des Wahllokales geholfen werden. Eine alte Frau bittet einen Mitarbeiter, „Sara“, die gelbe Liste, und „Masud“, den Kurden-Chef Barsani, anzukreuzen.
„Ich bin um drei Uhr morgens hierhergekommen“, erklärt die 18jährige Madschen Soran. Sie hatte Angst, daß zu viele Leute vor dem Wahllokal anstehen und sie bis Mitternacht nicht die Möglichkeit bekommt, ihre Stimme abzugeben. Aber schon um drei Uhr gab es eine lange Schlange. Immerhin 1,2 Millonen Kurden sind zur Wahl aufgerufen. Aufgrund des riesigen Andrangs wurde beschlossen, die Wahllokale vier Stunden länger, bis Mitternacht, offen zu halten.
Soran hofft, daß sich mit den Wahlen auch die Situation der kurdischen Frauen verbessert. „Frauen und Männer können später ohne Angst vor irakischen Soldaten und den Geheimdienstleuten Saddam Husseins auf den Feldern arbeiten“, hofft sie. Auf die Frage, ob sie ihren zukünftigen Mann auch „frei wählen“ möchte, steigt Soran die Schamröte in ihr Gesicht. Diese Frage läßt sich für sie nicht so leicht beantworten.
Jaber ist einer derjenigen, die im Zuge des Aufstands in Irakisch-Kurdistan nach dem Ende des Golfkrieges in den Iran geflohen sind. Jetzt hat er hat sich zu Fuß über die Berge auf den Weg zum Wahllokal gemacht. Bis vor einige Tagen hatten die Iraner das verboten. Als Leute wie Jaber dann sagten, daß sie sich auch von einem Verbot nicht aufhalten lassen würden, gaben die iranischen Behörden klein bei. „Wie kann man eine so lang erwartete Wahl jetzt vermissen“, erklärt der hochmotivierte Jaber.
Mit dem feinsten Tuch an die Urnen
Alle Leute tragen ihre beste Kleidung. Der 22jährige Assem hat noch kurz vorher sein Hemd und seine Hose gebügelt. Man müsse schließlich elegant zur Wahl gehen, meint er. Die Kinder haben mit den Wahlen einen neuen Spaß entdeckt. Die verschiedenen Farben der Parteien haben sich zum Spielschlager entwickelt. Mit den bunten Fahnen der Parteien stürmen die Kinder begeistert durch die Straßen. „Sara Sara Muossawkara“, „Der Sieg ist der gelben Liste sicher“, singen die einen. Andere wiederum preisen das „Grün“ von Barsanis Konkurrent Talabani.
Bis heute habe er sich gewünscht, daß Talabani gewinnt, aber jetzt, nachdem er am Wahltag die Stimmung der Leute gesehen habe, sei es ihm eigentlich völlig gleichgültig, wer das Rennen macht, sagt ein junger Mann vor einem der Wahllokale begeistert. „Das wichtigste ist, daß wir ein frei gewähltes Parlament haben werden.“ Die kurdische Führung muß diese Stimmung auch künftig berücksichtigen.
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