Daimler: Kaufen und verschleudern

Hochglanz-Bilanz in Stuttgart: Der Mega-Mischkonzern will auch in Zukunft Konkurrenten schlucken und Allianzen eingehen/ Vom Jäger-90-Absturz will Edzard Reuter noch nichts gehört haben  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Wenn er recht behält, muß Edzard Reuter demnächst kistenweise Champagner trinken. In einer intimen Gesprächsrunde mit PressevertreterInnen hatte der asketische Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG das französische Nobelgesöff am späten Montag abend noch darauf verwettet, daß der umstrittene Wundervogel Jäger 90 gebaut wird — leichtfertig, wie der Journalistentroß glaubt. Die Mega-Manager des internationalen Technologiekonglomerats Daimler-Benz wollten jedenfalls von dem negativen Bescheid aus dem Verteidigungsministerium noch nichts erfahren haben.

Zu dem europäischen Jagdflugzeug, beteuerte Reuter gestern, gebe es keinerlei sinnvolle Alternative. Nun sollen die Manager der Luft- und Raumfahrttochter Deutsche Aerospace (Dasa) in mühevoller Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit jene „Phantasievorstellungen“ aus dem Weg räumen, die das Prestigeprojekt in den endgültigen Absturz treiben. „Wenn ich wette“, so der Industriegewaltige, „erwarte ich auch einen Gewinn dieser Wette.“

Ganz gleich, wie viele Viertele die durchweg männliche Vorstandsmannschaft mit der neugierigen Medienschar in der langen Nacht vor der Bilanz-Performance getrunken hatte, die Fragerei nach dem Jagdflugzeug und den damit verbundenen Auftragseinbrüchen wollte nicht aufhören. Die blendende Konzernbilanz, das machte Reuter bei der Bilanzpräsentation gestern klar, wird ein Absturz des Jägers 90 nicht durcheinanderwirbeln können. Die Durststrecke, von der in den vergangenen drei Jahren im Zusammenhang mit dem Konzernumbau immer wieder gesprochen wurde, sei überwunden, der Konzern zusammengewachsen. Edzard Reuter scheint offensichtlich den Überblick über sein Gemischtwaren-Imperium nicht verloren zu haben (s. taz 16.5.).

Auch der Jahresabschluß 1991 paßt ins Bild, das der Daimler-Chef voller Optimismus von seiner Industriegruppe malt. Der Konzernumsatz stieg im Geschäftsjahr 1991 vor allem durch die gestiegene Inlandsnachfrage um elf Prozent auf 95 Milliarden Mark. Allein auf dem deutschen Markt konnte ein Wachstum von 21 Prozent auf 44,4 Milliarden verzeichnet werden. Wie in den letzten Jahren steuerte Mercedes-Benz den Löwenanteil bei: Mehr als zwei Drittel des Umsatzes entfallen auf den Fahrzeugbereich; allein 1,55 Milliarden Mark Gewinn warfen Autos, Lastwagen und Busse ab. Die AEG erwirtschaftete 14 Prozent, die Dasa 13 Prozent und die Debis vier Prozent des Umsatzes.

Die Rechenkünstler in der Möhringer Konzernzentrale haben es auch wieder einmal geschafft, einen deutlich höheren Gewinn auszuweisen: Der Jahresüberschuß konnte um 147 Millionen auf 1,942 Milliarden Mark aufgestockt werden — das bislang beste Ergebnis in der Geschichte des Unternehmens. Doch die Geschäftsspitze des größten deutschen Industriekonzerns mußte eingestehen, daß das Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit um 4,6 Prozent auf 4,0 Milliarden Mark gesunken ist. Die Ursache hierfür, so Daimler-Finanzminister Gerhard Liener, seien umfangreiche bilanzielle Vorsorgen, die sich in dem um eine Milliarde auf 7,790 Milliarden Mark gestiegenen Cash Flow niedergeschlagen hätten.

Doch was bedeutet ein Geschäftseinbruch schon bei einem Unternehmen, das allein mit seinen Erträgen aus den Geldanlagen schon die AktionärInnen mit dreizehn Mark Dividende bedienen kann? Intern zählt die Daimler-Bilanz ohnehin wenig: Für die Mega-Manager dient nur das Betriebsergebnis, das bestgehütete Firmengeheimnis, als Meßlatte des Erfolgs — diese nach einer eigenen Formel errechnete Kennziffer, die weder mit dem Jahresüberschuß noch mit dem Gewinn nach Steuern identisch ist. Und hier, so Finanzchef Liner, sei eine Ertragswende zu verzeichnen. Die Großaktionäre Deutsche Bank (28 Prozent), das Emirat Kuwait (14) und die Mercedes Automobil Holding (25) wird's freuen.

Doch auch große Namen schützen nicht vor Krisenanfälligkeit. In der Konzernzentrale wird längst kein Hehl mehr daraus gemacht, daß dem Misch-Multi eine weitere Kosten- Schlankheitskur bevorsteht. Im Fahrzeugbau, vor allem bei den Personenkraftwagen, wächst der Anpassungsdruck: 20.000 der rund 100.000 inländischen Arbeitsplätze sollen so schnell wie möglich abgebaut werden. Dem dahinsiechenden Elektroklotz AEG, vom Mittelständler und heutigen Bahn-Chef Heinz Dürr schon einmal an den Rand des Ruins saniert, wies 1991 Verluste von 544 Millionen Mark aus. Kaufen und verschleudern, bleibt das Motto für das gefräßige Imperium: „Auch in Zukunft“, kündigt Reuter an, „wird es bei uns Investitionen und Akquisitionen, Kooperationen und Allianzen, aber auch Verkäufe geben.“