piwik no script img

Keine Anklage gegen korrupte Polizisten

Britische Skandaleinheit geht straffrei aus/ Erzwungene Geständnisse, gefälschte Protokolle/ Kein Vertrauen in die Justiz  ■ Von Ralf Sotscheck

„Ich verzweifle an der britischen Justiz.“ Mit diesen Worten kommentierte der Labour-Abgeordnete Chris Mullin die Entscheidung der britischen Generalstaatsanwältin Barbara Mills, die Polizeibeamten der berüchtigten West-Midlands-Einheit nicht strafrechtlich zu verfolgen. Eine öffentliche Untersuchung, die knapp drei Jahre dauerte und vier Millionen Pfund (ca. 11,5 Millionen Mark) kostete, hatte ergeben, daß die Beamten regelmäßig Verhörnotizen gefälscht, Geständnisse gewaltsam erzwungen und vor Gericht Meineide geleistet hatten, um eine hohe Verurteilungsrate zu erzielen. Die Einheit war im August 1989 deshalb aufgelöst worden. Die 226 Beamten wurden auf andere Einheiten verteilt. Dennoch sagte Mills am Dienstag, die Beweise reichten für eine Anklage nicht aus.

Am selben Tag mußten wieder zwei Gefangene freigelassen werden, die in der Berufungsverhandlung nachweisen konnten, daß die Beweise gegen sie von der Polizei gefälscht waren. Der 29jährige Robert Houghton, der 1986 lediglich aufgrund der Verhörnotizen zu zehn Jahren Haft wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden war, sagte nach seinem Freispruch: „Es sitzen noch viele andere unschuldige Menschen hinter Gittern.“

Elf Gefangene konnten nach langjährigen Gefängnisaufenthalten inzwischen ihre Unschuld nachweisen, Dutzende weiterer Verfahren sind anhängig. Dazu kommen zahlreiche andere Fälle, an denen die West-Midlands-Einheit zumindest beteiligt war — wie zum Beispiel die „Birmingham Six“, die für angebliche IRA-Bombenanschläge fast 16 Jahre unschuldig im Gefängnis saßen.

Belastende Dokumente verschwunden

Während die ehemaligen Beamten der Einheit gestern ihre Erleichterung über die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ausdrückten, waren die mit der Untersuchung der West-Midlands-Einheit beauftragten Kollegen aus Yorkshire enttäuscht. Sie hatten nämlich festgestellt, daß ihnen verschiedene belastende Unterlagen vorenthalten worden waren. „Das Fehlen der Dokumente trägt zu der widerwärtigen Vermutung bei, daß die Untersuchung bestimmter Punkte möglicherweise vereitelt worden ist“, heißt es in ihrem Bericht.

Ronald Adams, der stellvertretende Polizeichef der West-Midlands, bestritt jedoch, daß eine Vertuschung stattgefunden habe. Er sagte, daß die 226 Beamten „nach einer Menge wilder Gerüchte und Spekulationen ohne solide Grundlage“ nun rehabilitiert seien.

Die Yorkshire-Polizei legte gleichzeitig elf Berichte vor, in denen der Verdacht der Unterschlagung von Polizeigeldern in den West-Midlands geäußert wird. Auch in diesen Fällen lehnte Barbara Mills die strafrechtliche Verfolgung ab. Roy Hattersley, Innenminister im Labour-Schattenkabinett, sagte, daß dadurch der „Glaube an das Gesetz unterminiert“ und der „Ruf der ehrlichen Polizisten geschädigt“ werde.

Doch das Vertrauen der britischen Öffentlichkeit in das Rechtssystem ist ohnehin längst geschwunden: Laut einer Meinungsumfrage vom Oktober 1991 glauben nur noch acht Prozent, daß man sich bei der Verteidigung von Bürgerrechten auf die Justiz verlassen könne. Viele Geschworene haben daraus Konsequenzen gezogen und weigern sich, Angeklagte zu verurteilen, solange auch nur der Schatten eines Zweifels besteht. Zwar ärgert sich die konservative Presse über die „perversen Freisprüche“, doch Conor Gearty, Jura-Dozent am Londoner King's College, sagte: „Wenn diese Urteile pervers sind, so sind dafür keineswegs die Geschworenen verantwortlich, sondern Polizei und Justiz.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen