Große Abtreibungskoalition in Sicht

■ Realpolitisch erscheint der von FDP und SPD erarbeitete Gesetzentwurf zur Neuregelung des Abtreibungsrechts machbar; gestern schwenkten auch CDU-Prominente auf die liberalere Linie ein. Für Frauen im...

Große Abtreibungskoalition in Sicht Realpolitisch erscheint der von FDP und SPD erarbeitete Gesetzentwurf zur Neuregelung des Abtreibungsrechts machbar; gestern schwenkten auch CDU-Prominente auf die liberalere Linie ein. Für Frauen im Osten wäre die Beratungspflicht eine Verschlechterung.

Hinter verschlossenen Türen diskutieren heute im Berliner Reichstag die Mitglieder des Sonderausschusses zum §218. Es geht um den neuen Kompromißvorschlag von SPD und FDP, der eine Fristenregelung mit Beratungspflicht vorsieht. Danach dürfte eine Frau bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ohne Angabe von Gründen abtreiben, wenn sie zuvor eine verpflichtende Beratung in Anspruch nimmt. Nachdem der Bundestag gestern den Gesetzesentwurf in erster Beratung und nach massiven Protesten aus den Reihen von CDU und CSU ohne Debatte an den zuständigen Ausschuß überwiesen hat, sind die Abgeordneten im Sonderausschuß heute aufgerufen, den Entwurf zur Fristenregelung zu diskutieren. Dem seit knapp zwei Wochen vorliegenden FDP/SPD-Gesetzentwurf einer modifizierten Fristenregelung werden bisher die größten Chancen eingeräumt, eine Mehrheit im Bundestag zu finden. Vermutlich wird dieser Antrag jedoch nocheinmal modifiziert, bis es zur endgültigen Verabschiedung kommt. Denn gestern kündigten CDU-Verfechter einer liberalen Abtreibungsregelung mit Bundestagspräsidentin Süssmuth an der Spitze Gespräche mit der SPD und der FDP an. Damit ist die Unionsfraktion in der Frage der Neuregelung des §218 endgültig auseinandergebrochen. Für den Fristenregelungskompromiß sind einschneidende Veränderungen zu befürchten. So wollen die CDU-Abgeordneten gesetzlich verankert sehen, daß eine Frau sich in einer Notlage sehen muß, um straffrei abtreiben zu können. Was diese Fristenregelung dann noch großartig von der in der BRD bisher gültigen Indikationsregelung unterscheidet, bleibt die Frage.

Insgesamt liegen dem nach dem Einigungsvertrag gebildeten Ausschuß nun sieben Gesetzentwürfe zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vor. Diese einheitliche Neuregelung soll bis Ende '92 vorliegen. Denn bisher gilt in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs noch geteiltes Recht. Während in den alten Bundesländern mit dem §218 die Indikationsregelung gilt, können Frauen in der ehemaligen DDR bisher noch per Fristenregelung straffrei bis zur zwölften Woche einen Abbruch vornehmen.

Im Gegensatz zur Fristenlösung, die in der Ex-DDR seit 1972 in Kraft ist, sieht dieser Kompromiß zum einen eine Beratungspflicht vor. Diese vorgesehene Beratung dient ausdrücklich dem Schutz des werdenden Lebens und soll der Frau „durch Rat und Hilfe unter Anerkennung des hohen Wertes des vorgeburtlichen Lebens“ zur Seite stehen. Zum anderen macht sich jede Frau strafbar, die abtreibt, ohne vorher die Beratung in Anspruch genommen zu haben. In der noch gültigen Fristenregelung macht sich die Frau in keinem Fall strafbar. Der neue Gesetzentwurf einer Fristenregelung bedeutet de facto eine Verschlechterung der rechtlichen Situation von Frauen im Osten.

Für den Westen eröffnet der Kompromiß erstmalig die Möglichkeit, eine Fristenlösung gesetzlich zu etablieren. Frauen könnten nach erfolgter Beratung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen einen Abbruch ohne Angabe von Gründen vornehmen. Seit 1975 schreibt der §218 beim Schwangerschaftsabbruch die Indikationsregelung vor, das heißt, eine Frau darf nur abtreiben, wenn medizinische oder eugenische Gründe dafür sprechen; oder wenn sie sich in einer Notlage befindet. Vor allem die Indikation der sozialen Notlage nötigte Frauen in der vorgeschriebenen Beratung, „gewichtige“ Gründe für die Abtreibung darzulegen. Der gesellschaftlichen Mehrheit für die Liberalisierung des Abtreibungsrechts zum Trotz konnten sich die ParlamentarierInnen auch mit dem Kompromißentwurf nicht dazu durchringen, die Entscheidung allein der Frau zu überlassen. Pflichtberatung und drohende Gefängnisstrafen für die Frau sind Zugeständnisse an konservative Unionsabgeordnete und an die vielbeschworene Verfassungskonformität. Karin Flothmann