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Wenn die Stasi-Akten lügen...

■ Betr.: "Stolpe und der Schlußstrich", von Wolfgang Gast, taz vom 12.5.92

Betr.: „Stolpe und der Schlußstrich“ von Wolfgang Gast,

taz vom 12.5.92

Nachdem Wolfgang Gast über Wochen die verschiedensten Stasi-Akten in Sachen „IM Sekretär“ mit einer Inbrunst zitiert hat, wie andernorts Fundamentalisten die Bibel oder den Koran, ist er nun schwer enttäuscht, entdecken zu müssen, daß diese alles andere sind als Quellen der Offenbarung, sondern voller Widersprüche, vor allem, wenn man sie mit Aussagen von Zeitzeugen vergleicht. Leider, leider haben das historische Texte so an sich — in einer bestimmten Situation verfaßt, von konkreten Leuten mit noch konkreteren Absichten. Und danach sollte zu allererst gefragt werden, will man ihre Aussagekraft ausloten.

Klaus von Dohnanyi hat (in seinem 'Spiegel‘-Aufsatz) am Beispiel des Widerstandes gegen Hitler gezeigt, wie fragwürdig es ist, die Aktenlage staatlicher Dienststellen als alleinigen Bewertungsmaßstab zu verwenden. Bei ihren damals im Auftrage der verschiedenen Widerstandszirkel durchgeführten Reisen waren Hans von Dohnanyi und Dietrich Bonhoeffer offiziell für diverse staatliche Stellen unterwegs. Ihre Berichte an diese Stellen mußten deshalb in Diktion und Gehalt den NS- Adressaten entsprechen. Was im übrigen auch für direkte Gespräche mit NS-Funktionsträgern galt. Die Berichte (oder offiziellen Gesprächsprotokolle) heute nach Aktenlage als alleinige Quelle zu verwerten, würde ein völlig falsches Bild der Betreffenden ergeben. [...] Mario Krebs, Köln

„Wenn sich die Auffassung durchsetzt, daß Stasi-Akten lügen, dann kann die Gauck-Behörde ihre Arbeit einstellen“, schreibt Wolfgang Gast. Nein, die Akten sind Dokumente der Geschichte und spiegeln die DDR- Geschichte so wunderbar widersprüchlich wieder, wie sie eben gewesen ist. Ebenso, wie niemand auf die Idee käme, mit Hilfe der Wirtschaftspläne und Planerfüllungsmeldungen der DDR heute ein wahrheitsgetreues Abbild der realen DDR-Wirtschaft zu zeichnen, ist es absurd, von den Berichten der Stasi- Akten auf die gesellschaftliche Realität ihrer AutorInnen zu schließen. Die Akten waren eben Produkte der Gehirne ihrer AutorInnen und bezeugen, wie diese die DDR-Wirklichkeit wahrnahmen.

Darüber hinaus sind die Akten in sich selbst äußerst widersprüchlich. Allein im Fall Gysi, der alle auf seine Person bezogenen Akten der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte (womit der Autor Gelegenheit gehabt hätte, etwas gründlicher zu recherchieren) ergibt sich: Von angeblich ein und derselben Quelle gibt es verschiedene Berichte, die gleichzeitig unsinnige Doppelungen und Widersprüche enthalten. Es gibt in dieser Reihenfolge: „Gregor“-Berichte 1978; den Beschluß über das Anlegen eines Vorlaufes (Anwerbungsversuch) „Gregor“ 1980; die Ablehnung, diesen Vorlauf in einen IM-Vorgang „Notar“ umzuwandeln wegen Ungeeignetheit des Kandidaten 1986 und schließlich Berichte dieses IM „Notar“. Ganz offensichtlich müssen also Teile dieser Akten falsch sein. Nimmt mensch noch hinzu, daß ein nicht unerheblicher Teil der „Informationen“ in den Stasi-Akten Gesprächsgegenstand von Verhandlungen mit Staatsanwalt und ZK der SED war und ein anderer Teil aus Mandantengesprächen unter Aufsicht im Knast stammt, es aber offensichtlich Gründe gab, solche Quellen nicht offiziell in den Akten zu nennen, erklärt sich schon einiges mehr und tauchen neue Fragen auf (an denen unter Zuhilfenahme weiterer Akten, bei Befragung ihrer einstigen AutorInnen und bei Untersuchung der Strukturen zwischen MfS und Partei- und Staatsführung weiterzuarbeiten wäre). Im Falle Gysi konnten übrigens die entsprechenden Akten fast 100prozentig „aufgeklärt“ werden — in Übereinstimmung mit dem damaligen Mandanten Bahro und bei Rücksprache mit ehemaligen MfSlern und einem ZK-Mitarbeiter.

Nein, die Akten müssen zugänglich bleiben beziehungsweise erstmal zugänglich gemacht werden. Sie dürfen nur nicht als Abbild der DDR- Realität genommen und womöglich noch als juristische Beweismittel genommen werden. Nur weil nicht in jedem Fall zum Erfolg führt, wenn manche ehemalige BürgerrechtlerInnen und die Gauck-Behörde Stasi- Akten einsetzen, um den politischen Gegner zur Strecke zu bringen oder um sich selbst die Existenz zu beweisen, müssen die Akten noch lange nicht geschlossen werden. Claudia Gohde,

PDS-Bundesvorstand

Mit Interesse habe ich den Beitrag von Wolfgang Gast gelesen. Der Beitrag reizt in mehrfacher Hinsicht zum Widerspruch.

1.Soweit er sich mit mir beschäftigt, ist die in jeder Hinsicht mangelhafte Recherche und die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen schon einigermaßen erschütternd.

2.Soweit Stolpe, Fink und ich wie ein Fall behandelt werden, entspricht dies nicht den Gegebenheiten, zeigt aber, daß der Autor zur Individualisierung unfähig ist.

3.Die Glaubwürdigkeitskriterien, die der Autor aufstellt, sind meines Erachtens eher zweifelhaft.

4.Vor allem geht es mir aber um die in dem Beitrag — wie bereits vorher in zahlreichen anderen Medien — aufgezeigte Alternative. Wenn die „Stasi-Akten lügen“ — zum Teil dürfte wohl schon ausreichen —, „dann kann die Gauck-Behörde ihre Arbeit einstellen.“

Zu 1.: Der Autor schreibt zu mir: „Aus den Stasi-Akten geht hervor, daß er (gemeint bin ich — der Autor) in einem IM-Vorlauf unter dem Decknamen ,Gregor‘ geführt wurde. Spätere Stasi-Dokumente, in denen detailliert über Vier-Augen- Gespräche des Rechtsanwalts Gysi mit den prominenten Regime-Kritikern Robert Havemann und Rudolf Bahro berichtet wird, tragen als Quellenangabe ,IM Notar‘.“ Das ist eindeutig falsch. „IM-Notar-Berichte“ über vertrauliche Gespräche von Robert Havemann und Rudolf Bahro mit mir kenne ich nicht. Soweit ich Berichte lesen konnte, sind sie anders unterzeichnet, und vor allem datieren sie aus einem Zeitraum vor Anlegung des IM-Vorlaufs „Gregor“. Zu dieser Zeit war aber der beziehungsweise die beziehungsweise das „Notar“ bei der Staatssicherheit überhaupt noch nicht geboren.

Weiter heißt es in dem Beitrag: „Allen drei Fällen (gemeint sind Stolpe, Fink und ich — der Autor) ist gemeinsam, daß es keine IM-Akte mehr gibt, und sich die Anschuldigungen auf Akten stützen, die der von den Stasi-Offizieren verfügten Aktenvernichtung im Dezember 1989 entgingen.“

Noch nie ist bisher irgendwie belegt worden, daß es eine IM-Akte für mich gab, die vernichtet wurde. Das „Handwerkszeug“ der Staatssicherheit spricht in meinem Falle eine andere Sprache. Aus meiner Vorlaufakte ergibt sich, daß der Vorschlag vom November 1980, mich als IM zu werben, nicht bestätigt wurde. Deshalb erfolgte auch keine Registrierung meiner Person als IM. Die Vorlaufakte selbst wurde durch Beschluß mit der Begründung archiviert, daß ich als IM ungeeignet sei. Später wurde gegen mich ein operativer Personen-Kontroll-Vorgang eingeleitet.

Anschließend stellt der Autor fest, daß Katja Havemann in ihren Akten nachlesen konnte, daß der Inhalt von Gesprächen zwischen Robert Havemann und mir auf kürzestem Wege bei der Staatssicherheit landete. „Gysis Erklärung, es handele sich um Aufzeichnungen aus einer elektronischen Überwachung“, könne Katja Havemann nicht glauben, weil die Aufzeichnungen der Staatssicherheit auch Wertungen, Einschätzungen und Vorschläge enthielten.

Zur Zahl der Berichte habe ich bereits Stellung genommen. Entscheidend ist hier, daß ich noch nie behauptet habe, daß der mir vorgelegte Bericht das Ergebnis einer elektronischen Überwachung sei. Es ist ziemlich unfair, mir ein nie benutztes Verteidigungsargument zu unterstellen, nur weil es sich scheinbar so gut widerlegen läßt. In Wirklichkeit geht nämlich dieser Bericht vom Juli 1980 höchst wahrscheinlich auf Informationen zurück, die ich im Auftrage von Robert Havemann dem ZK der SED mit dem Ziel übermittelte, bestimmte Schritte gegen Robert Havemann nicht einzuleiten, was in diesem Falle auch erreicht wurde.

Der Ex-Offizier Lohr hat entgegen der weiteren Darstellung in der taz auch nie behauptet, daß der IM- Vorlauf für mich nur angelegt wurde, um gegen den Willen der Vorgesetzten den Vorgang zu mir weiterführen zu können. Die Kategorisierung des Vorlaufs, aber auch der Abschluß geschahen mit Genehmigung der Vorgesetzten durch entsprechende Beschlüsse. Nur die Verzögerung des Abschlusses des Vorlaufs soll nach Darstellung von Ex- Offizier Lohr gegen den Willen der Vorgesetzten erfolgt sein.

Auch die letzte Aussage zu mir im Beitrag ist falsch, weil bisher niemand behaupetet hat, daß meine „IM-Registrierung“ fiktiv war, vielmehr gerade behauptet, daß nie eine solche Registrierung erfolgte. Das deckt sich auch mit den Dokumenten in der Vorlaufakte und den vorgefundenen Karteikarten. Der Unterschied scheint mir erheblich zu sein.

Zu 2.: Die permanente Vermischung der Fälle Stolpe, Fink und Gysi, die in vielen Medien betrieben wird, verfolgt einen bestimmten Zweck. Gelingt es, die Angaben eines von den dreien zu widerlegen, dann kann es als Beweis gegen alle drei behandelt werden. Aber jeder von uns dreien hat einen Anspruch auf individuelle Überprüfung.

Ich will hier nur auf zwei Unterschiede hinweisen. Während sowohl Stolpe als auch Fink immer erklärten, oft mit Mitarbeitern der Staatssicherheit gesprochen, jedoch zu keinem Zeitpunkt als IM tätig geworden zu sein, habe ich schon solche Kontakte bestritten. Und während die Gauck-Behörde — ob nun zu Recht oder zu Unrecht — Stolpe und Fink belastet, gibt es solche Bekundungen von ihr in bezug auf mich bisher nicht.

Das soll keine Distanzierung von Stolpe und Fink sein. Beide Persönlichkeiten kenne und schätze ich, und bisher ist für mich nichts belegt worden, was meinen Respekt vor ihnen erschüttern könnte.

Zu 3.: Offensichtlich falsch ist die Behauptung des Autors, daß belastende Aussagen von Ex-Offizieren der Staatssicherheit zurückgewiesen werden, während entlastende Aussagen als tauglich gelten. In fast sämtlichen Medien wird den ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit unterstellt zu lügen, wenn sie entlasten, während sie als 100prozentiger Beweis gehandelt werden, wenn sie belasten.

Eine Ausnahme bilden bisher nur einige Gerichte. Wer die Unterlagen der Staatssicherheit zu juristischen Beweiszwecken gegen Personen nutzen will — Urkunden sind sie nur, wenn sie von diesen Personen auch unterzeichnet sind —, muß auch die Hersteller der Unterlagen und die betroffenen Personen einbeziehen. Es gibt keine Trennung zwischen den Unterlagen einerseits und ihren Verfassern andererseits. Eine Abwägung und Bewertung bleibt in jedem Fall erforderlich. Deshalb sind auch alle Überlegungen des Autors dahingehend, ob prinzipiell Mitarbeiter der Staatssicherheit früher oder jetzt gelogen haben, abwegig. Wenn es um Juristerei geht, dann sind sie wie andere Bürgerinnen und Bürger auch, deren Aussagen zu bewerten sind. In dem Beitrag wird aber angestrebt, von vornherein nur eine Bewertung der Aussagen früherer Mitarbeiter der Staatssicherheit zuzulassen. Das ist mit rechtsstaatlichem Denken völlig unvereinbar.

Zu 4.: Die von Wolfgang Gast aufgestellte Alternative „ehrliche Stasi-Dokumente plus Gauck-Behörde“ oder „unwahre Akten, dann Schließung der Gauck-Behörde“ zeugt von einem völlig einseitigen und deshalb verheerenden Verständnis der Bedeutung der Öffnung der Akten der Staatssicherheit. Wenn diese Alternative zuträfe, müßte die Gauck-Behörde bereits geschlossen worden sein. Denn nachweisbar manipulierte Unterlagen der Staatssicherheit wurden schon vorgefunden. Erinnert sei nur an den Bericht eines Arztes der Charité, der von ihm unterzeichnet gewesen sein soll, bei dem aber durch ein Sachverständigengutachten die Unterschriftsfälschung nachgewiesen wurde.

Eine solche Alternative kann nur aufstellen, wer wie Gast die wesentliche Funktion der Akten und der Tätigkeit der Gauck-Behörde darin sieht, zugunsten (Rehabilitierungen) oder zuungunsten von Personen (Kündigungen, Strafverfahren) Beweismittel herbeizuschaffen. In Wirklichkeit geht es darum, Geschichte aufzuarbeiten, erstmalig zu ermöglichen, daß Menschen Einsicht in die schriftlichen Ergebnisse der Tätigkeit eines Geheimdienstes erhalten. Diese Bedeutung bleibt, ob nun Dokumente manipuliert wurden oder nicht. Der Wunsch nicht weniger, die Gauck-Behörde zu schließen, resultiert aus der bisher einseitig verstandenen Aufgabenstellung der Behörde und die Instrumentalisierung der Unterlagen durch die Medien zum Zwecke der Persönlichkeitszerstörung, zumindest der politischen Demontage von bestimmten Personen. Wer das ändern will, muß dafür auftreten, mit den Unterlagen anders, das heißt vorsichtiger, nachfragender umzugehen, nicht aber für Schließen der Akten sein. Wichtig wäre es allerdings gewesen, vor der Öffnung der Akten die Methoden der Staatssicherheit zu erforschen, damit nicht jede beziehungswiese jeder darauf angewiesen ist, allein Schlußfolgerungen zu ziehen.

Alle weiteren Schlußfolgerungen von Gast sind ebenso falsch. Weshalb sollten „Lügen“ in einem Teil der Dokumente der Staatssicherheit eine wissenschaftliche Forschung ausschließen? Müssen wir zum Beispiel das Parteiarchiv der SED schließen, nur weil in Dokumenten der SED auch gelogen wurde, was wohl niemand bestreiten würde? Im übrigen müßten dann wohl sämtliche Archive der Welt eingemauert werden, weil es in ihnen stets auch Unterlagen gibt, deren Aussagen Unwahrheiten enthalten.

Statt die Alternative aufzustellen, die Unterlagen der Staatssicherheit entweder als letzte Wahrheit zu behandeln oder aber die Akten zu schließen, sollte ein anderer, kritischerer Umgang mit den Akten gefordert werden. Gregor Gysi

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