: Ein zarter Ruck
■ Die Schauspielerin Jutta Lampe erhält am Sonntag den Theaterpreis Berlin 1992
Jutta Lampe, deren Name von Beginn an mit dem der Schaubühne am Halleschen Ufer (später »am Lehniner Platz«) verbunden war, ist ein Lehrbeispiel für Schauspielerei — in ihren großen Qualitäten ebenso wie in den kleinen Makeln, die sich in ihrer Arbeit finden lassen. Auf die Frage, wer den Stil der Schaubühne am meisten geprägt hat, fallen mir zuerst die Namen Edith Clever und Jutta Lampe ein; und gegensätzlicher als bei diesen beiden Protagonistinnen ist Schauspielerei nicht denkbar. Edith Clever: tragödinnenhaft, maniriert, heftig — und auf ihre Weise ebenso beeindruckend wie die stille, oft fast sachlich wirkende, unaufwendig und »innig« agierende Jutta Lampe. Das größte Kompliment, das ich dieser von mir heftig verehrten Schauspielerin machen kann: Sie übt ihren Beruf mit viel Verstand und Geschmack aus. Alles Getöse scheint ihr zuwider zu sein. Wer sie auf der Bühne sieht, denkt sofort, sie müsse privat eine schüchterne, womöglich gar bescheidene Person sein. Trotz ihrer Leisigkeit, trotz der sonderbaren Diskretheit ihres Spiels ist sie eine große Diva des deutschsprachigen Gegenwartstheaters: Wenn sie auftritt, geht ein zarter Ruck durchs Publikum; es scheint, es hält den Atem noch eine Spur konzentrierter an, als es in den Schaubühnen-Aufführungen ohnehin der Fall ist.
Jutta Lampe als Mascha in Peter Steins Drei Schwestern-Inszenierung: Eine Frau, die sich angewöhnt hat, ihr Leiden zu vertagen. Eine brüchige Person, die sich so lange vor der Erkenntnis über die Verfehltheit der eigenen Existenz schützt, bis die Kraft nicht mehr reicht, bis alles herausbricht. In diesen Momenten scheint mir immer, Jutta Lampe würde, wenn sie auf der Bühne weint, auch durch die Haut weinen — so innig ist das, so schmerzlich für den, der bei der Trauer zuschaut. Wenn sie laut werden muß, weil die momentane Verfassung einer Figur nicht mehr leise zu spielen ist — dann würde sie niemals brüllen und dröhnen. Wozu auch? Jutta Lampe als Titania im Botho-Strauß-Stück Der Park: Wie sie da den alt und etwas wirr gewordenen Oberon wiedertrifft, ihm die altbekannten Zeilen aus Shakespeares Sommernachtstraum souffliert, voller Mitleid und doch stillvergnügt — ein Theaterglücksmoment.
Die Legende der Schaubühne geht bekanntlich überwiegend auf die weibliche Hälfte des Ensembles zurück. Für die Kontinuität der großen Schauspielkultur dieses Hauses — quer durch sämtliche Krisen — ist Jutta Lampe geradezu ein Markenzeichen. Manchmal fragt man sich, ob sie nicht doch zur Abwechslung für ein paar Jahre an ein anderes »Erste-Klasse«-Haus gehen sollte; aber als Berliner hofft man natürlich, sie möge hierbleiben, bis sie 80 ist. Vielleicht braucht es einen wirklich ruhigen Rhythmus des Sehens, Hörens und Fühlens, um die gewaltige Ausdruckspalette dieser Schauspielerin zu erfassen. Vielleicht aber bin ich auch nur befangen; denn Jutta Lampe ist eine von jenen Bühnenerscheinungen, die mich immer wieder zuverlässig trösten über den gegenwärtigen Zustand des Theaters. Klaus Nothnagel
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