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Bonn sortiert bosnische Flüchtlinge aus

■ Die Innenminister der Länder beschlossen gestern, außer Verwundeten oder Kranken nur diejenigen Kriegsflüchtlinge aus Bosnien aufzunehmen, die Verwandte oder Bekannte in Deutschland haben ...

Ein „falsches Signal“ und „nicht verantwortbar“, so Bundesinnenminister Rudolf Seiters zu der Forderung, die Visumpflicht für die Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzuheben. Seiters wußte sich einig mit allen Länderinnenministern, die gestern nach einer Konferenz in Bonn ihre Überlegungen zum Umgang mit der größten Fluchtbewegung in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs präsentierten. Der saarländische Innenminister Friedel Läpple appellierte als Sprecher seiner Ministerkollegen zunächst an die Bundesregierung, auf das Ende der Kampfhandlungen hinzuwirken — dem wird niemand widersprechen wollen. „Flüchtlingshilfe vor Ort“, insbesondere in Kroatien und Slowenien, soll der Schwerpunkt deutscher Hilfsmaßnahmen sein.

Für die Flüchtlinge aus Bosnien, die nach Deutschland wollen, bleibt das erteilte oder nichterteilte Visum Steuerungsmittel, um eine „unkontrollierte Einreise“ (Seiters) zu verhindern. Visa erhalten nun Verwundete und Kranke aus Bosnien-Herzegowina und Flüchtlinge, die von hier lebenden Verwandten und Bekannten, Wohlfahrtsorganisationen und Kirchen versorgt werden. Wie ein Flüchtling die Hilfe von Wohlfahrtsorganisationen beim bayerischen Grenzbeamten nachweisen soll, blieb indes unklar. Auch für die erklärte Absicht, Bürgerkriegsflüchtlinge nicht in das Asylverfahren zu drängen, konnten die Innenminister keine überzeugenden Maßnahmen nennen.

Bereits hier lebende Bürgerkriegsflüchtlinge sollen ein Bleiberecht zunächst bis zum 30.September erhalten. „Darüber hinaus“, so die Innenminister schließlich, „sind die Länder bereit, Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen, sofern darüber eine europäische Kontingentvereinbarung getroffen wird.“

Denn bisher liegt die Bundesrepublik „an der Spitze der Staaten“, betonte Seiters mehrfach. Er wies zurück, daß die Bundesrepublik sich abschotten würde. Diese Sicht teilte auch der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD), der, zwar nicht glücklich mit der Visumpflicht, auch findet, daß „nicht die übrigen europäischen Länder aus der Verantwortung“ entlassen werden sollten. Auch deshalb brauche die Bundesrepublik die Visaerteilung als Steuerungsinstrument. Schnoor: „Ich kann Seiters nicht kritisieren.“

Im Vorfeld der Innenministerkonferenz hatte der rheinland-pfälzische Innenminister Walter Zuber (SPD) die Aufhebung der Visumpflicht gefordert. Der SPD-Parteivorstand wiederholte die Forderung nach einem befristeten Bleiberecht. „Seit vielen Monaten bilden Menschen aus dem zerbrechenden Jugoslawien die weitaus stärkste Gruppe in der Statistik der Asylsuchenden. Das müßte nicht sein, wenn ihnen ein vorübergehendes Bleiberecht ohne förmliches Asylverfahren gewährt würde.“ Ein „Notstandsprogramm für die menschenwürdige Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen“ forderte der Bundestagsabgeordnete Konrad Weiß (Bündnis90/ Grüne).

Die Wohlfahrtsverbände und die Flüchtlingshilfeorganisation „Pro Asyl“ forderten eine Aufhebung des Visumszwangs. „Es dürfe keine ,Aussortierung‘ von Flüchtlingen nach Kriterien wie verwandschaftliche Beziehungen oder Grad einer Verwundung geben“, so der Sprecher von „Pro Asyl“, Herbert Leuninger. Die Wohlfahrtsverbände wiesen auf eine Bundestagsentschließung aus dem Jahre 1979 hin. Danach muß Flüchtlingen aus Krisen- und Bürgerkriegsgebieten aus humanitären Gründen zumindest vorübergehend Schutz und Aufnahme in der Bundesrepublik gewährt werden. Das Deutsche Rote Kreuz gab an, daß gegenwärtig mehr als 1,3 Millionen Flüchtlinge im ehemaligen Jugoslawien zu versorgen sind. Tissy Bruns, Bonn

Europäische Konferenz ohne Ergebnisse

Die Wiener Hofburg war Schauplatz eines europäischen Schauspiels, das besser erst gar nicht initiiert worden wäre. Da trafen sich Vertreter aus zehn europäischen Ländern, um „Hilfestellung für die größte politische und menschliche Tragödie seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa“, sprich das Flüchtlingselend in Bosnien, zu leisten. Das Ergebnis ist beschämend: Kein europäisches Land wird die Bürgerkriegsflüchtlinge ohne große Formalitäten aufnehmen, eine generelle Grenzöffnung ohne Aufnahmequoten für Flüchtlinge wird es nicht geben. Die Frage der Aufnahmequoten wurde erst gar nicht behandelt. Dafür hätten die Konferenzteilnehmer keine Befugnis gehabt, erklärte der österreichische Innenminister Franz Löschnak. „Hilfe vor Ort wird man aber leisten“, meinte Michel Veuthey, Generaldelegierter des Internationalen Roten Kreuzes, und er listete auf: Kroatien werde Zelte für 100.000 Flüchtlinge erhalten. Länder wie Deutschland, Frankreich und England werden sich um Kriegsverletzte kümmern und in ihren Ländern behandeln. Österreich und die Schweiz sind Initiatoren einer Kinderhilfe während der Sommerzeit.

Die Delegierten aus Griechenland, Rumänien, Bulgarien und Ungarn und Slowenien führten Dutzende von Gründen an, warum sie leider gezwungen seien, ihre Grenzen für Flüchtlinge zu schließen.

Dabei war man in den vornehmen Sälen der Wiener Hofburg bestens informiert über die dramatische Lage in Bosnien. Es lagen sehr detailliertes Zahlenmaterial, Fallbeispiele von willkürlichen Verhaftungen und Geiselnahmen, von Massakern an der Zivilbevölkerung und anderen Menschenrechtsverletzungen vor, die gegen die Genfer Kriegskonvention verstoßen. Auch der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg kam auf. Bewußt greife die jugoslawische Armee und serbische Freischärler Bevölkerungszentren an, zerstöre zivilen Wohnraum, einzig mit der Absicht, Menschen zu vertreiben. Derzeit sind demnach in Bosnien 700.000 Menschen auf der Flucht, wovon die Hälfte bereits in Kroation Zuflucht fand. Roland Hofwiler, Wien

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