: „Hier ist es richtig nett“
■ Besetzer des Tuntenhauses luden zum Brunch in die Grünenstraße
Eine kurze Diskussion am Buffet: Soll es jetzt nicht doch lieber Marianne Rosenberg sein oder will jemand diesen Dvorak zu Ende hören? — Diese Scheißklassik. — Wieso, laß doch. — Plötzlich ist die Musik aus und die Kaffeemaschine röchelt, als würde sie gewürgt. Kurz bevor die ersten Gäste zum Brunch eintrudeln, ist im besetzten Tuntenhaus Grünenstraße 19-21 der Strom ausgefallen.
Bitte das Buffet
Dabei ist alles so gut vorbereitet an diesem herrlichen Sonntagmorgen. Ein paradisisches Buffet lockt mit frischen Ananas, Käseplatten, Salaten, Joghurt, Müsli, Frikadellen und Gemüsekompositionen.... Die Wände zieren Girlanden und Glanzpapier, Hella von Sinnen grüßt jovial vom Titelbild ihres neuen Buches und ein unglaublich kitschiges Foto von Enid Blytons „Fünf Freunden“ hängt schon ein bißchen lädiert an der Wand herunter. Tische und Stühle sind zu gemütlichen Sitzgruppen geordnet, Lametta baumelt von der Decke und alle rennen irgendwie geschäftig hin und her. Ein riesiger Benjamin steht neben dem Tresen, Ralf hat noch schnell frische Chrysanthemen besorgt. „Hier sieht es ganz untypisch aus für ein besetztes Haus“, sagt Stefan fast entschuldigend.
Zwei Verlängerungskabel sind schnell besorgt, wenigstens die Kaffeemaschine und die Musikanlage brauchen Strom. Die letzten Schüsseln und Teller werden aufgebaut, die ersten Gäste kommen.
Man kennt sich in der Szene. Großes Hallo, Umarmung, Staunen und Begeisterung. Sektkorken knallen, langsam weicht die Müdigkeit aus den Knochen: Hier wurde noch bis sechs Uhr morgens Kneipe gemacht. Teller werden beladen. Nils muß jetzt erst mal seinen Nagellack entfernen, seine Mutter will gleich kommen und ihn besuchen. Schade um den schönen Nagellack.
Thomas hat sich die ganze Zeit in der Küche zu schaffen gemacht. Er gehört wie Nils zu der Wohngruppe, die im besetzten Haus künftig leben will. Ein schwules zuhause hat er bislang nicht gekannt „Meine Eltern haben es gewußt, aber sie wollten nichts damit zu tun haben. Man muß sich die ganze Woche über zusammennehmen, irgendetwas darstellen, was man nicht ist.“ Seit einer Woche, seit er hier wohnt, ist das anders. „Hier braucht man nicht mehr zusammenzucken, wenn über Schwule geredet wird.“ Thomas trägt heute rote Netzstrümpfe, einen Rock und eine ärmellose Bluse.
An einem Nachbartisch wird über die Zukunft des Hauses diskutiert. „Wenn die das schaffen würden, so einen schwulen Ort, das wäre wirklich super“, sagt eine Frau, die mit ihrer Clique gekommen ist. So etwas fehlt in Bremen. „Diese tolle Atmosphäre. Hier ist es richtig nett.“ Es wird voll, die Bruncher haben sich schick gemacht: Hier eine Fliegerbrille mit Paillettenbluse, dort ein transparenter Degenumhang mit knackigen Neonshorts und überall regiert wachsende Ausgelassenheit.
Heute sollen die Verhandlungen mit dem Sozialstaatsrat Hoppensack beginnen. „Viele glauben, daß es reicht, wenn die Schwulen nicht mehr eingesperrt werden. Aber wir wollen mehr. Wir wollen wir selbst sein, und das können wir hier“, sagt jemand, der ein bißchen einsam in einer Ecke sitzt. Gleich will er sich zu den anderen gesellen. mad
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