Quayle klagt Fernsehmutter der Unmoral an: Wer ist Murphy Brown?

Wer ist Murphy Brown?

Washington (taz) — „Wer ist Murphy Brown?“ fragte der kanadische Premierminister Brian Mulroney verblüfft seinen Gastgeber George Bush. Nach Gesprächen mit seinem amerikanischen Amtskollegen über die angespannten Handelsbeziehungen ihrer Länder hatte Mulroney wohl mit allem gerechnet, nicht aber damit, daß der Star einer US-Fernsehserie im Mittelpunkt der anschließenden Pressekonferenz stehen würde. Handelszölle sowie Import- und Exportquoten interessierten die US-Reporter nur am Rande, sie bombardierten ihren Präsidenten mit Fragen nach Murphy Brown. Der ließ sich am Ende dann doch widerstrebend zu ein paar zitierfähigen Zeilen bewegen. „Ich glaube, daß Kinder in Familien mit Mutter und Vater geboren werden sollten, die ihnen ein Leben lang Liebe und Pflege und Aufmerksamkeit geben werden“, gab er zum Besten und vergaß auch nicht, seine tiefe Besorgnis über die „schrecklich vielen zerbrochenen Familien“ in den USA zu betonen. Mehr ließ sich Bush nicht entlocken. „Ich werde nicht in die Details einer sehr populären TV-Show gehen.“

Das hatte am Tag zuvor sein Vize besorgt. In einer Rede vor konservativen Geschäftsleuten in San Francisco, in der er ausdrücklich die „Armut an Werten“, nicht etwa die materielle Armut, für die jüngsten Unruhen in Los Angeles verantwortlich machte, hatte er auch ein paar böse Worte für Murphy Brown übrig. Die Namensgeberin und Hauptfigur — von Candice Bergen gespielt — einer der populärsten US-Fernsehserien hatte in der Sendung am letzten Montag einen Sohn zur Welt gebracht, und sich bewußt dafür entschieden, das Kind ohne Vater großzuziehen. „Es hilft nicht“, moralisierte Quayle, „wenn das Fernsehen zur Hauptsendezeit Murphy Brown zeigt — eine Figur, die angeblich die intelligente, hochbezahlte professionelle Frau von heute verkörpert —, die sich über die Bedeutung von Vätern lächerlich macht, indem sie ein Kind alleine gebärt, und das nur eine andere Wahl des Lebensstils nennt.“ Dieser Seitenhieb Quayles, der bekannt ist für seine unfreiwillig komischen oder peinlichen Ausrutscher, ist seitdem in aller Munde.

In einer Zeit, in der die amerikanische Gesellschaft mit zunehmender Kriminalität, Armut, Obdach- und Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat, drei Wochen nach einer der schwersten sozialen Unruhen in der jüngsten US-Geschichte, ist es allerdings peinlich, wenn der Vizepräsident es für nötig hält, das Verhalten einer fiktionalen Figur zu kommentieren und vor dem schlechten Einfluß des Fernsehens zu warnen (zur tagtäglichen Gewalt auf dem Bildschirm ist ihm im übrigen bisher noch nichts eingefallen). Als ob jetzt Hunderte von Frauen dem Beispiel von Murphy Brown folgen würden. Um die gefährdetste Gruppe, schwarze junge Frauen (63 Prozent aller schwarzen Haushalte, aber nur 23 Prozent aller weißen Familien werden allein von der Mutter geführt), muß sich Quayle sowieso keine Sorgen machen. Während Murphy Brown unter weißen Zuschauern auf Platz fünf der Beliebtheitsskala rangiert, landet sie bei Schwarzen in den fünfzigern.

Murphy Brown machte Schlagzeilen; kein Blatt, keine Nachrichtensendung ohne einen Beitrag über Quayles Bemerkung. Ted Koppel von ABC widmete der Sache sogar seine gesamten Abendnachrichten Nightline. In der ganzen Aufregung untergegangen sind aber die eigentlich haarsträubenden Thesen Quayles über die Ursachen der jüngsten Unruhen in Los Angeles. Quayle, der sich nach einem holprigen Start als Vize in den letzten dreieinhalb Jahren als Bushs Bindeglied zum rechten Flügel der Republikaner bewährt hat und deshalb auch im November wieder mit von der Partie sein darf, schlug auf seiner Tour durch Kalifornien einen besonders scharfen Ton an. Hier wird Rechtsaußen Pat Buchanan bei den Vorwahlen in zwei Wochen versuchen, ideologische Differenzen in der Partei gegen Bush auszuspielen. Quayle versuchte deshalb den Boden für seinen Chef zu bereiten. Für die — wie er formulierte — „gesetzlose Anarchie“ von Los Angeles sei der Zusammenbruch der Familienstrukturen in den USA verantwortlich (ein Lieblingsthema der Rechtskonservativen). Die Logik geht folgendermaßen: Nicht staatliche Programme zur Beseitigung von Armut und Arbeitslosigkeit helfen. Allein ein stärkerer Familiensinn wirkt gegen die städtischen Übel Kriminalität und Drogen. Und eben jener Sinn für Familie geht Murphy Brown vollkommen ab. Martina Sprengel